Frankkfurter Apell

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KaBi2

Frankkfurter Apell

Beitrag von KaBi2 »

http://www.protest2006.de/aktionskonfer ... ppell.html

12.12.2006

Die abgestimmte Version und die Entwurfsvorlage

Die auf der Aktions-und Strategiekonferenz der Versammlung der sozialen Bewegungen am 2. und 3. Dezember abgestimmte Version des Frankfurter Appells



Frankfurter Appell

Welche Parteien auch immer die Bundesregierung stellen: der von den Arbeitgeberverbänden verlangte Sozial- und Lohnabbau wird weiter vorangetrieben.
Wir wollen und werden
nicht hinnehmen
? dass die von den Lohnabhängigen erkämpften Sozialleistungen (Unterstützungen von Erwerbslosen, Renten, Gesundheitsversorgung usw.) immer mehr ausgehöhlt und beseitigt werden;
? dass das Lohnniveau über die Aushöhlung von Tarifverträgen, über Arbeitszeitverlängerung, über prekäre Arbeitsverhältnisse und über wachsenden Druck auf Erwerbslose gesenkt wird.
? dass die noch bestehenden demokratischen und sozialen Rechte weiter abgebaut werden, um diese Ziele zu erreichen;
? dass die Behördenpraxis insbesondere Erwerbslose immer mehr entrechtet.
? [Antrag von Sebastian Förster zur Bildung: Antragstext hat Helmut]

Arbeit um jeden Preis
und Leben in Armut
sind für uns unzumutbar
Wir finden uns nicht damit ab, dass immer mehr Menschen verarmen, während Kapitalbesitzer und Vermögende immer reicher werden. Nicht die angebliche Anspruchshaltung der Erwerbslosen, der Rentner, das ”Besitzstandsdenken” der Be-schäftigten oder die vorgebliche Bedrohung durch MigrantInnen sind das Problem, sondern das Profitstreben des Kapitals und der Reichen sowie eine Wirtschaftspolitik, die ausschließlich deren Profitansprüchen verpflichtet ist. Wir sehen keinen Sinn darin, dass von Anlegern x Milliarden Euro bei riskanten Finanzanlagen verbrannt oder ins Ausland verlagert werden, während wir auf das Notwendigste verzichten müssen. Wir sehen nicht ein, dass Sozialleistungen abgebaut, während Kriegseinsätze der Bundeswehr weltweit finanziert werden.

Die Unternehmen zahlen dank ständiger “Steuerreformen” immer weniger Gewinnsteuern und wollen immer weniger Sozialabgaben leisten. Denen, die sie für die Erarbeitung der Profite brauchen, bürden sie Lohnverzicht und Arbeitszeitverlängerung auf, dem immer größer werdenden “Rest” werfen sie auf die Straße. Deshalb sind die Staatskassen leer. Und so ist es schlicht eine Lüge, dass eine gute Bildung für alle, gut ausgestattete Kindergärten, eine ausgebaute öffentliche Infrastruktur und öffentlicher Wohnungsbau nicht bezahlbar seien oder Privatisierungen irgendwelche Vorteile für uns brächten.

Wir schaden uns selbst, wenn wir uns gegen unsere Kolleginnen und Kollegen in anderen Ländern in einen internationalen Dumpingwettbewerb um die geringsten Arbeitskosten, billigsten Sozialsysteme und geringsten Steuern treiben lassen. Die Regierungen der EU aber wollen genau das. Sie wollen mit Hilfe von Sozial- und Lohnabbau die USA als stärkste Wirtschaftsmacht sobald wie möglich ablösen. Das ist nicht unser Ziel. Unser Ziel sind gemeinsame Kämpfe über alle Ländergrenzen hinweg.

Der Erfolg der internationalen Hafenarbeiter gegen Port Package II macht uns Mut, ebenso das franzö-sische und niederländische Nein zur EU-Verfassung sowie der Erfolg der Bewegung in Frankreich gegen die Abschaffung des Kündigungsschutzes für Jugendliche (CPE]. [Die Formulierung stammt von mir, da der Antrag dazu nicht ausformuliert vorgelegt wurde. GGf. Rücksprache mit Antragsteller Andrej Hunko]
Wir sehen nicht ein, dass es uns immer schlechter gehen soll, während unsere Produktivität zunimmt und der von uns erar-beitete Reichtum Jahr für Jahr wächst.

Wir sehen uns als Teil der weltweiten sozialen Bewegungen, wie sie sich auch in den Kämpfen gegen Kriegsgefahr, Fa-schismus , Rassismus, Antisemitismus, Abbau demokratischer Rechte und Umweltzerstörung ausdrücken.

Nehmen wir unsere Interessen selbst in die Hand, statt auf ein nicht vorhandenes Verantwortungsbewusstsein von Kapital-eignern zu setzen.

Alle gemeinsam gegen Sozial- und Lohnabbau!


Wir fordern:

? Einen gesetzlichen Mindestlohn, mindestens 10 € brutto die Stunde
? Arbeitslosengeld in Höhe von 80% des letzten Nettoentgelts für alle Erwerbslosen für die gesamte Dauer der Arbeitslo-sigkeit
? Ein Mindesteinkommen für Er¬werbslose, mindestens 500 € Eckregelsatz, partnerunabhängig, plus Unterkunfts- und Hei-zungskosten, damit auch Anhebung der Kinderregelsätze - – ohne Bedürftigkeitsprüfung und repressionsfrei.
Jährliche Anpassung an die jeweilige Inflationsrate.
? Bedarfsorientierte Festsetzung der Kinderregelsätze

? Die Kosten der Arbeitslosigkeit sind von den Unternehmern zu tragen
? Flächendeckende staatliche Finanzierung von unabhängigen Beratungsstellen für Erwerbslose
? 30-Stundenwoche bei vollem Lohn- und Personalausgleich
? Sozialversicherungspflicht für alle Beschäftigungsverhältnisse – Abschaffung der 1-Euro-Jobs und der Mini-Jobs
? Die Senkung des Renteneintritt¬salters auf 60 Jahre ohne Abschläge, eine ausreichende gesetzliche Mindestrente, kein Abbau gesetzlicher Renten zugunsten privater Renten
? Eine gesetzliche Krankenversicherung für alle ohne Beitragsbemessungsgrenze, mindestens paritätisch finanziert; be-darfsdeckende Leistungen ohne Zuzahlung; massiver Ausbau der Prävention
? 53 % Körperschafts- und Spitzensteuersatz der Einkommenssteuer
? Die Wiedererhebung einer Vermögenssteuer und Erhöhung der Erbschaftssteuer
? Den uneingeschränkten, vollständig steuerfinanzierten, gebührenfreien Zugang zu Bildungs-, Erziehungs- und Kulturein-richtungen und deren Ausbau, keine Steuergelder für Eliteuniversitäten
? Stopp und Rücknahme der Privatisierungen öffentlichen Eigentums
? Eine qualifizierte Berufsausbildung für alle, Ausbildungspflicht für Unternehmen
? Uneingeschränktes Bleiberecht für Flüchtlinge
? Gleiche Rechte für alle Menschen, die hier leben
? Uneingeschränktes Streik- und Demonstrationsrecht
Dazu gibt es für uns keine Alternative.
Weg mit den Hartz-Gesetzen und der Agenda 2010 !
Schluss mit den Reformen gegen uns!



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KaBi2

Beitrag von KaBi2 »

http://www.elo-forum.org/forum/viewtopi ... 010#136010
Hallo!

Wer kennt sich mit diesem "Frankfurter Appell" aus?

Unter "Wir fordern" findet man offenbar das "bedingungslose Grundeinkommen":

- Ein Mindesteinkommen für Erwerbslose, mindestens 500 € Eckregelsatz, partnerunabhängig, plus Unterkunfts- und Hei-zungskosten, damit auch Anhebung der Kinderregelsätze - ohne Bedürftigkeitsprüfung und repressionsfrei.
Jährliche Anpassung an die jeweilige Inflationsrate.
- Bedarfsorientierte Festsetzung der Kinderregelsätze


Wenn man die "Bedürfigkeit" nicht prüft und wenn es obendrein "repressionsfrei" sein soll, läuft es ja auf völlige "Bedingungslosigkeit" hinaus. Oder ist unter "repressionsfrei" das zu verstehen, was z.B. Michael Schlecht in seinem Interview mit dem ND am 20.7.06 näher erläuterte:
Die Arbeit muss solidarisch organisiert werden. In keiner Wohngemeinschaft wird auf Dauer akzeptiert, dass Einzelne sich vor Gemeinschaftsarbeiten (!) drücken.
(...)
Wer trotz weitreichedem Zumutbarkeitsschutz (?) sagt, ich will nicht arbeiten, muss mit begrenzten Sanktionen rechnen.
->Über: Interview Michael Schlecht in der ND


Kurzum: Ich verstehe nicht, warum "man" nicht gleich von einem bedingungslosen Grundeinkommen spricht.

An der Resonanz auf www.protest2006.de und auch in diesem Forum sieht man, daß dieser Appell eh kaum jemanden zu interessieren scheint. Schade für alle Beteiligten und Unbeteiligten.


frohes Restfest ansonsten
Perestroika

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KaBi2

Beitrag von KaBi2 »

->Versuchter Rückzieher vom BGE
Stellungnahme zur Neufassung des Frankfurter Appells



17.12.2006

Stellungnahme zur Neufassung des Frankfurter Appells auf der bundesweiten Aktions- und Strategiekonferenz gegen Sozial- und Lohnabbau am  2./3. Dezember 2006 in Frankfurt   Das Bündnis 3. Juni als Initiator hatte der Frankfurter Konferenz am 2./3.12. 2006 in Konferenzaufruf und –ablaufplan das Ziel gesetzt, die Spaltungen in der Bewegung gegen Sozial- und Lohnabbau zu überwinden. Spaltungen waren dadurch entstanden, dass sich verschiedene Kräfte aus dem bisher breitesten Bündnis ”Alle gemeinsam gegen Sozialkahlschlag” (Frankfurter Appell) zurückgezogen und eigene separate Strukturen aufgebaut hatten; aber auch durch die im Aufruf zur bundesweiten Demo am 3. Juni enthaltene Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen für Erwerbslose (darauf lief die Forderung nach einem ausreichenden, garantierten Mindesteinkommen für Erwerbslose ohne Arbeitszwang und Bedürftigkeitsprüfung hinaus).
Im Aufruf zu den DGB-Demonstrationen am 21.10. stellte das Bündnis 3. Juni die Forderungen nach zehn Euro Mindestlohn, 30 Stundenwoche und 500 Euro Eckregelsatz repressionsfrei in den Mittelpunkt (Triade 10-30-500). Das haben wir sehr begrüßt, zum Begriff ”repressionsfrei” aber Interpretationsbedarf angemeldet. Zur Konferenz selbst hieß es, sie solle die unterschiedlichen Positionen deutlich machen, um sich dann - in Kenntnis dieser Differenzen - auf das Gemeinsame zu konzentrieren. So sollte die umstrittene Frage eines  bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) in Diskussion und Beschlüssen ausgeklammert und auf eine spätere Perspektivenkonferenz verschoben werden, um hier und jetzt zu einer gemeinsamen Plattform für Aktionen zu kommen, indem der Frankfurter Appell als bisher breiteste Basis eines Bündnisses weiterentwickelt wird. 

Die Unterzeichnenden gehören zu den Verfassern  einer Überarbeitung des  Appells, die der Konferenz als Entwurf vorlag. Diese Vorlage wurde am Samstag in Plenen und Arbeitsgruppen diskutiert. Die geäußerten Änderungsvorschläge wurden – mit zwei Ausnahmen, die schlussendlich alternativ hätten abgestimmt werden sollen - von einer Redaktionsgruppe eingearbeitet. Das Redaktionsteam, bestehend aus VertreterInnen verschiedener Organisationen und Strömungen, konnte sich nach ausgiebiger Diskussion auf eine gemeinsame Vorlage für die Abstimmung am Sonntag einigen. Das Ziel, zu einer Einheit auf der Grundlage eines verbesserten Frankfurter Appells zu kommen, schien gelungen. Der vorgeschlagene Kompromiss zur Forderung nach deutlicher Erhöhung der Alg-II- und Sozialhilfeleistungen hieß: "Ein Mindesteinkommen für Erwerbslose, mindestens 500 Euro Eckregelsatz, partnerunabhängig, plus Unterkunfts- und Heizungskosten, damit auch Anhebung der Kinderregelsätze." Auf dieser Basis wäre eine Einheit möglich gewesen. 

In der Abstimmung über die Neufassung wurde aber die Diskussion - auch dieser sehr zentralen Frage - in der Form neu eröffnet, dass nur noch Änderungsanträge ohne Diskussionen möglich waren. Von einem Aktivisten des ”Netzwerks Grundeinkommen” wurde ein neuer - in der samstäglichen Diskussion nicht vorgebrachter – Antrag gestellt, nämlich die  Begriffe "ohne Bedürftigkeitsprüfung und repressionsfrei" an die Regelsatz-Forderung anzufügen, und nach Unterbindung jeder Gegenrede von der Konferenz mehrheitlich angenommen. 

Damit war die ursprüngliche Forderung des Bündnisses 3. Juni nach einem bedingungslosen Grundeinkommen für Erwerbslose, also ein Ausgangspunkt der Spaltung, wiederhergestellt und zudem noch in den Frankfurter Appell aufgenommen. Die Spaltung wurde damit vertieft. Die Konferenz hat so ihr Ziel - trotz einiger guter Ansätze dazu - verfehlt. 

Wie konnte es dazu kommen und wieso können wir dieses Ergebnis nicht akzeptieren? 

Der alte Frankfurter Appell von 2004 enthielt die Forderung nach einem ausreichenden, garantierten Mindesteinkommen für alle Erwerbslosen, ohne Bedürftigkeitsprüfung.  Sie wurde seinerzeit ohne Diskussion beschlossen, obwohl sie schon damals dem Wortsinn nach falsch war. Wir und viele andere gingen davon aus, dass damit die unerträglichen Bedürftigkeitsprüfungen der Ämter abgelehnt wurden, das Konstrukt der eheähnlichen Gemeinschaft, die jämmerlichen Vermögensfreibeträge, die rechtswidrige Ausdehnung der Bedarfsgemeinschaften usw..
Wir fordern auch weiterhin entschieden die Abschaffung dieser schikanösen, entwürdigenden ”Verfolgungsbetreuung”. 
Die Formel "ohne Bedürftigkeitsprüfung" hat aber heute eine andere, dem tatsächlichen Wortsinn entsprechende Bedeutung erhalten, nämlich: ”ohne jede Bedürftigkeitsprüfung”. Dies wurde  ab Mitte 2004 deutlich, als das Konzept eines Bedingungslosen Grundeinkommens für alle ohne Bedürftigkeitsprüfung und ohne Arbeitszwang stärker verbreitet und massiv propagiert wurde.  Daran knüpfte sich für einen nennenswerten Teil der Bewegung die "Vision" einer solidarischen, gerechten Gesellschaft ohne Armut und  eines individuellen, existenziell abgesicherten Ausstiegs aus der Lohnarbeit. 

Wir lehnen dieses Konzept ab, weil wir erstens eine solidarische Gesellschaft auf Basis einer Wirtschaftsordnung, deren Ziel und Zweck  die Kapitalverwertung ist, für eine die herrschenden Verhältnisse zementierende Illusion halten; weil zweitens der individuelle Ausstieg aus der Lohnarbeit unter Beibehaltung der kapitalistischen – d.h. Lohnarbeit voraussetzenden -  Produktionsweise  nur möglich ist auf Kosten der Lohnarbeit anderer; aber auch drittens, weil ein steuerfinanziertes Grundeinkommen für alle - oder für bestimmte Bevölkerungsgruppen - ohne jede Bedürftigkeitsprüfung, also unabhängig von jeglichem Einkommen und Vermögen, dazu führen muss, dass die Unterhaltungskosten der Beschäftigten und der nicht (mehr) Beschäftigten  noch stärker als bisher schon aus Steuern der Werktätigen selbst bezuschusst werden und im selben Verhältnis nicht mehr über Löhne seitens des Kapitals und über ursprünglich paritätisch finanzierte Sozialversicherungsleistungen gedeckt werden müssen.
Das BGE wirkt, unabhängig von den unterschiedlichen Absichten seiner BefürworterInnen, auf dem Boden des Kapitalismus als massives Mittel, die Löhne zu senken, Tarifverträge anzugreifen und die Sozialversicherungen auszuhebeln (Senkung der "Lohnnebenkosten").  

Diese Wirkung macht BGE-(Teil)Forderungen in einer Plattform, die als verbindende Klammer gemeinsame Interessen von Erwerbslosen und Erwerbstätigen bündeln soll, ganz und gar unbrauchbar. 

Uns ist klar, dass diejenigen, die der Formel "ohne Bedürftigkeitsprüfung" am 2./3.12. zugestimmt haben, die beschriebenen Ziele des Kapitals nicht teilen. Sie wollen eine Verbesserung, nicht eine Verschlechterung der Lebensverhältnisse von Erwerbslosen und Erwerbstätigen. 

Der gute Wille ändert aber nichts an den realen Resultaten:  Ein ”Grundeinkommen ohne Bedürftigkeitsprüfung” als ”Vision” schürt Illusionen über die Möglichkeiten des Kapitalismus, "Wohlstand für alle" zu verwirklichen;  es fördert ein beispielloses, modernes Programm der Profitsteigerung, der Verlagerung der Kosten der Ware Arbeitskraft auf die ganze Gesellschaft, während die durch eben diese Arbeitskraft erzeugten Profite nach wie vor privat angeeignet  werden; es fördert die von den Herrschenden massiv betriebene Spaltung zwischen den erwerbslosen bzw. prekarisierten und den erwerbstätigen Teilen der Lohnabhängigen. 

Indem die Konferenz die oben genannte Forderung nach Abschaffung jeglicher Bedürftigkeitsprüfung für Alg II-BezieherInnen angenommen hat, hat sie objektiv einen massiven Schritt in Richtung Bedingungsloses Grundeinkommen getan, auch wenn die verabschiedete Forderung noch nicht das von linken BGE-ProtagonistInnen angestrebte ”Bedingungslose Grundeinkommen für alle in armutsfester Höhe” darstellt. Denn das sollen eben alle Menschen bekommen und die Höhe des Eckregelsatzes von 500 Euro wird als viel zu niedrig abgelehnt. Für das Netzwerk Grundeinkommen ist das BGE für Erwerbslose auf Basis von Hartz-IV jedoch ein erster großer Schritt, der nach und nach durch die Ausweitung der Forderung auf weitere Bevölkerungsgruppen ergänzt werden soll und bereits ergänzt wird (siehe u.a. “Bedingungslose Grundsicherung für alle Kinder” ...). 

Dazu Werner Rätz (KoKreis Attac/Netzwerk Grundeinkommen), der sich hier der sinngleichen Formeln “Streichung der Bedingungen” und explizit Streichung der “Zumutbarkeitskriterien für Arbeitsaufnahme” bedient: 
”Das mit Hartz IV eingeführte Arbeitslosengeld II versteht sich als Grundsicherung . Eine solche könnte prinzipiell in Richtung eines bge entwickelt werden. In einem ersten Schritt müssten die Sätze auf angemessene Höhe gehoben und die Zumutbarkeitskriterien für Arbeitsaufnahme gestrichen werden. Das wäre dann noch lange kein bge, aber es würde sich dem annähern. Allemal aber wäre es eine deutliche Verbesserung für die Betroffenen. Hätten sich die Auseinandersetzungen um Hartz IV entsprechend entwickelt (oder würden sie es zukünftig noch tun), müsste man also in diese Richtung aktiv werden. Nach der Erhöhung der Beträge und der Streichung der Bedingungen würde sich die Finanzierungsfrage für ein umfassendes bge völlig anders stellen als heute, weil da schon bestimmte Beträge abgesichert wären. Die Aufgabe bestände dann vielleicht hauptsächlich darin, Schritt für Schritt weitere Gruppen oder Ansprüche in das System einzubeziehen, und weniger, es auf einen Schlag zu verwirklichen.” (Von: genugfueralle-bounces@listen.attac.de - Im Auftrag von Werner Rätz gesendet: Freitag, 1. Dezember 2006 06:16; auch im neuesten Newsletter Grundeinkommen veröffentlicht.) 

Solche ”Visionen” oder andere weitergehende Perspektiven gehören so wenig in eine gemeinsame Aktionsplattform politisch unterschiedlicher Kräfte wie der Aufruf zur revolutionären Beseitigung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse. Weder in offener Form (für ”soziale Gerechtigkeit” auf kapitalistischem Boden), noch in verdeckter Form (für ein ”Grundeinkommen ohne Bedürftigkeitsprüfung und ohne Arbeitszwang” auf der Basis von Lohnarbeit anderer).
Der Frankfurter Appell sollte unserer Meinung nach ausschließlich aus entschiedenen kurz- und mittelfristigen Forderungen gegen das Kapital bestehen, auf deren Grundlage sich auch ansonsten politisch unterschiedliche Kräfte einigen können. 

Auch der in den neuen Frankfurter Appell eingeführte Begriff ”repressionsfrei” ist in dieser Hinsicht doppeldeutig. Er schließt die Ablehnung des Zwangs zu EinEuroJobs, die Ablehnung von Sanktionen, vom Zwang zu Eingliederungsvereinbarungen, unsinnigen Bewerbungen usw.. ebenso ein, wie die Vorstellung einer kapitalistischen Gesellschaft, die trotz des Verwertungszwangs des Kapitals ohne den Zwang zur Lohnarbeit auskommen könnte. 

Ersterem stimmen wir zu. Letzteres ist eine weitere Form von Illusionen über die Funktionsweise des Kapitals, die den Blick verstellt für die Ursachen der herrschenden Zustände und deren Beseitigung. 

Wir könnten dem Frankfurter Appell in der jetzigen Fassung nur dann zustimmen, wenn die Formeln "ohne Bedürftigkeitsprüfung" und "repressionsfrei" auf ihre "visionsfreie" Bedeutung zurückgeschnitten würden, das heißt, wenn festgehalten wird, welche Bedürftigkeitsprüfungen und Sanktionen abgeschafft werden sollen, und wo die Grenze liegt zwischen solidarischer Finanzierung gesellschaftlicher Teilhabe der vom Kapital erwerbslos Gemachten einerseits und Ausnutzung der Ergebnisse fremder Lohnarbeit andererseits. 

Zurechtgeschnitten also z.B. auf die Ablehnung der Konstruktion der eheähnlichen Gemeinschaft, der Unterhaltspflicht zwischen Eltern und erwachsenen Kindern, der rechtswidrigen Ausdehnung der Bedarfsgemeinschaft, der gegenwärtige Höhe der Vermögensfreibeträge, der gegenwärtigen Formen der Anrechnung von Erwerbseinkommen und anderen Einkommen; der Ablehnung von Sanktionen bei der Verweigerung von 1-Euro-, Mini- und Niedriglohn-Jobs usw.. Darauf also, worauf der Großteil der Wut und des Unmuts über die gegenwärtig schikanösen und kleinlichen Bedürftigkeitsprüfung zurückzuführen ist. 

Statt des doppeldeutigen "repressionsfrei" müsste klar formuliert werden, dass wir EinEuroJobs ablehnen (steht übrigens im neuen Appell drin) und ebenfalls die gegenwärtigen Zumutbarkeitsbestimmungen und Sanktionen.Wir erklären uns aber nicht mit der BGE-Botschaft einverstanden, dass Erwerbslose keinerlei Verpflichtungen akzeptieren sollten, zum eigenen Lebensunterhalt beizutragen, sofern das möglich ist, und folglich von den beschäftigten LohnarbeiterInnen beliebig verlangen dürften, selbstgewählten Austieg aus der Lohnarbeit durch Lohnarbeit anderer zu finanzieren. Das macht ein Bündnis mit Erwerbstätigen unmöglich. 

Einige Stellungnahmen zur Regelsatz-Forderung (”ohne Bedürftigkeitsprüfung und repressionsfrei”) betonen nun deren – nicht vom SGB II / SGB XII gedeckte - Einschränkung auf Erwerbslose. Sie wollen damit der Kritik entgegentreten, dass durch den Bezug auf den Eckregelsatz nun alle Erwerbsfähigen Anspruch auf das geforderte Mindesteinkommen hätten (siehe unten), dass damit ein perfekter Kombi-Lohn für alle und ein beinahe perfektes BGE gegeben wäre. Diese Einwände übersehen,  dass sich schließlich jedeR aus der Lohnarbeit in die Erwerbslosigkeit verabschieden kann, wenn er/sie denn will. Durchaus im Sinne der BGE-Forderung: als individuelle Freiheit zum existenziell abgesicherten Ausstieg aus der Lohnarbeit - auf Kosten der Lohnarbeit anderer. 

Wenn die Einfallstore zum Bedingungslosen Grundeinkommen und zu sozialpartnerschaftlichen Visionen aus dem Frankfurter Appell herausgenommen sind, werden wir uns einverstanden erklären.Solange das nicht der Fall ist, können wir die am 2./3.12. verabschiedete Fassung des Frankfurter Appells weder unterzeichnen noch zu ihrer Verbreitung beitragen. Der Frankfurter Appell in seiner jetzigen Form ist für uns unbrauchbar geworden, obwohl die Überarbeitung anderer Punkte in vieler Hinsicht einen Fortschritt darstellt.
Wir sagen das nicht, weil wir Silbenstecher wären, die in Worte einen Sinn hineinlegen, den sie nicht haben. Wir sagen das auch nicht, weil wir den Streit um Worte für wichtiger halten als zu handeln. Wir sagen es, weil wir eine wirkliche Einheit auf der Basis eines Minimalprogramms wollen, das die gemeinsamen Interessen von Erwerbslosen und Erwerbstätigen zum Ausdruck bringt.  

Die jetzt verabschiedete Formel ... 
"Ein Mindesteinkommen für Erwerbslose, mindestens 500 Euro Eckregelsatz, partnerunabhängig, plus Unterkunfts- und Heizungskosten, damit auch Anhebung der Kinderregelsätze, ohne Bedürftigkeitsprüfung und repressionsfrei." 

... ist dazu nicht geeignet. Im Gegenteil. Sie sprengt den Kern des anzustrebenden kämpferischen Bündnisses zwischen Erwerbslosen und Erwerbslosen, den wir in den Forderungen nach einem gesetzlichen Mindestlohn von mindestens zehn Euro und der Forderung nach einem Eckregelsatz von mindestens 500 Euro verkörpert sehen. 

Neben der Mindestlohnforderung brauchen wir als hier und jetzt ganz konkret anzugehende Tagesaufgabe unbedingt diese Forderung nach Regelsatzerhöhung, wenn wir nicht unseren Gegnern in Kapital, Kabinett und den mit ihnen kooperierenden Gewerkschaftsführungen in der praktischen Auseinandersetzung das Feld überlassen wollen. 

Bezogen auf diese Funktion hat die Forderung nach Abschaffung der Bedürftigkeitsprüfung für Erwerbslose – über die bisherige grundsätzliche Kritik hinaus – noch  einige inakzeptable Nebenwirkungen, die in keiner Weise bedacht wurden: 

Es wird ja gefordert (und das ist in der zwei Jahre nach Durchsetzung von Hartz IV entstandenen Situation u.E. auch richtig!), Hartz IV zu verändern, denn nur dort (und im SGB XII) gibt es einen Eckregelsatz. Im Aufruf des Bündnisses 3.Juni zur Demo in Berlin wurde deswegen auch die Erhöhung des Alg II auf mindestens 500 Euro gefordert.
Hartz IV ist aber nicht nur ein Mindesteinkommen für Erwerbslose, sondern auch ein Mindesteinkommen für Erwerbstätige. Nicht die Erwerbslosigkeit, sondern die Erwerbsfähigkeit ist die entscheidende Voraussetzung für Arbeitslosengeld II-Leistungen.
Ferner beziehen auch Kinder unter 15 Jahren Hartz IV-Leistungen. Sie gelten nicht als erwerbslos und beziehen Sozialgeld als Prozentsatz des Eckregelsatzes.Auch Kinder über 15 Jahren, die noch in Schulausbildung sind, gelten nicht als erwerbslos. Die Mehrheit der heute 7,1 Millionen Hartz IV-BezieherInnen ist nicht erwerbslos. 

Da die jetzige Forderung die Ablehnung jeder Bedürftigkeitsprüfung bzw. – wenn so gewollt - der heutigen Formen der Bedürftigkeitsprüfung - nur auf Erwerbslose bezieht, bedeutet das, dass bei Nicht-Erwerbslosen die Bedürftigkeit weiterhin in der bisherigen Form geprüft werden  würde.
Für die Beibehaltung der jetzigen Bedürftigkeitsprüfungen bei Erwerbstätigen einzutreten, war sicher nicht mit dem Beschluss beabsichtigt, geht aber logisch aus der beschränkten Sicht auf Erwerbslose hervor. Das richtet sich in der Tendenz gegen Erwerbstätige. 

Desweiteren gelten z.Zt. auch alle diejenigen als erwerbslos, die weniger als 15 Stunden die Woche arbeiten. Diese Definition halten wir für richtig, denn die US-Definition, dass nur erwerbslos ist, wer nicht einmal eine Stunde pro Woche arbeitet, ist völlig unbrauchbar. Wenn man die geltende Definition akzeptiert, würde die mehrheitlich beschlossene Forderung also bedeuten, dass die Erwerbseinkommen all derjenigen, die weniger als 15 Stunden arbeiten, unabhängig von ihrer Höhe nicht angerechnet werden. Das würde Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigte  benachteiligen, deren Einkommen möglicherweise noch niedriger liegt. Diese Wirkung kann nicht beabsichtigt gewesen sein. Sie würde die Mindestlohnforderung von zehn Euro untergraben und eine Form des Kombilohns darstellen, bei der bei geringfügiger Beschäftigung das Erwerbseinkommen in voller Höhe nicht angerechnet, also in voller Höhe aus Steurgeldern bezuschusst wird. Die U-15-Jobs würden massenhaft Blüten treiben. 

Weiterhin würde die Formel bedeuten, dass Erwerbslose, die Einkommen aus Kapitalanlagen und Immobilienbesitz haben, alle entsprechenden Einkünfte behalten können. Wieso wir uns aber für die Interessen derer einsetzen sollten, die arbeitslos von Kapitaleinkünften leben oder leben wollen (und dabei handelt es sich eben nicht nur um die Albrechts und Ackermänner, die sich mit Sicherheit nicht auf den Weg zur Arge machen würden), ist unerfindlich. Auch das kann nicht beabsichtigt gewesen sein. 

Wenn aber die Beschränkung der Abschaffung der Bedürftigkeitsprüfung auf Erwerbslose nicht gemeint gewesen sein sollte (auch wenn sie von einigen jetzt ausdrücklich hervorgehoben wird; siehe oben), sondern die Abschaffung der Bedürftigkeitsprüfung für alle erwerbsfähigen Hartz IV-BezieherInnen, dann hätte die Konferenz damit dafür gestimmt, dass ·         Erwerbseinkommen unabhängig von seiner Höhe nicht auf Alg II-Leistungen angerechnet werden darf.  

Sie hätte damit einer sprunghaften Ausdehnung von Kombilöhnen den Weg geebnet. Die Forderung, wenn sie denn so gemeint war, fördert Lohnsenkungen ins Bodenlose und  den weiteren Abschied von Tarifverträgen, denn das vom Staat bezahlte Alg II wird für Erwerbstätige dann in der Tendenz zum Grundstock ihrer Existenzsicherung, nicht mehr der Lohn (der damit massiv gedrückt werden kann). 

Was auch immer gemeint ist, der Frankfurter Appell in der jetzigen Fassung verletzt unmittelbar die Tagesinteressen von teilzeit-(15 Std. und darüber) und vollzeitbeschäftigten LohnarbeiterInnen und mittelbar die aller Lohnabhängigen, der erwerbstätigen wie der erwerbslosen. Dadurch und indem er die Option auf das BGE und den individuellen Ausstieg aus der Lohnarbeit öffnet, setzt er voraus, dass es LohnarbeiterInnen gibt, aus deren Arbeit die entsprechenden Geldsummen (und die damit konsumierten Waren und Dienstleistungen) aufgebracht werden müssen. 

Auf der Basis dieser Forderung ist es nicht möglich, ein Bündnis zwischen erwerbstätigen und erwerbslosen LohnarbeiterInnen zu schließen. Ein solches Bündnis kann nur geschlossen bzw. ausgebaut werden, wenn in den Forderungen die gemeinsamen Interessen von erwerbslosen und erwerbstätigen LohnarbeiterInnen wiederzufinden sind. Während die DGB-Führung versucht, im Rahmen ihres Co-Managements mit dem Kapital zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland, sprich zur Sicherung hoher Kapitalrenditen, die Erwerbstätigen auf Kosten von Erwerbslosen relativ besserzustellen, hat der jetzige Frankfurter Appell eine deutliche Schlagseite in die andere Richtung. 

Wenn sich die Forderung aber trotz des Verweises auf den Eckregelsatz (und am 3.Juni 2006 auf Alg II) nicht auf Hartz IV bezieht, sondern auf eine völlig neue Grundsicherung, ist sie als Tagesforderung unbrauchbar. Wie oben bereits betont: Wir brauchen unbedingt eine Forderung nach Regelsatzerhöhung als Tagesforderung und nicht als ”Vision”. 

Die Konferenz hat zu diesen Fragen keine Diskussion geführt bzw. keine Diskussion zugelassen. Das war ein Fehler. 

Wir haben den Eindruck, dass viele TeilnehmerInnen der Konferenz  und größere Teile des Bündnisses 3. Juni es für das Wichtigste halten, Aktionen für das Jahr 2007  auf die Beine zu stellen, um den Druck auf die "Reformen" gegen uns zu erhöhen. Sie halten die Auseinandersetzung um die Ziele von Aktionen und Aktivitäten für zweitrangig. Hauptsache Bewegung.  

Entsprechend wird eine Tendenz deutlich, Kritik an der undurchdachten, spalterischen (Teil)Forderung nach einem Bedingungslosen Grundeinkommen für Erwerbslose als Wortgefecht um etwas mehr oder weniger Unbedeutendes hinzustellen. Das ist vergleichbar dem Verhalten einer  Fußballmannschaft, die sich nicht dafür interessiert, wo das gegnerische Tor steht, welche Aufstellung, Stärken und Schwächen die gegnerische Mannschaft hat und wie die eigene Mannschaft am besten aufgestellt werden kann. Hauptsache, man spielt Fußball. 

Auch wir halten sichtbare, meinungsbildende, mobilisierende und druckfähige Aktionen für  notwendig. Das Ziel gemeinsamer Aktionen muss aber klar sein. Es ist kein Aktionsvorschlag gekommen, der von der Konferenz in vollem Umfang unterstützt werden konnte. Das spiegelt die gegenwärtige schwierige Situation wieder und hat nichts mit dem Versuch zu tun, mit einem erneuerten Frankfurter Appell eine gemeinsame Basis für zukünftige Aktionen zu schaffen. 

Welche  Aktion auch immer organisiert wird:  wir bekommen Kraft, wenn alle Aktivitäten eine gemeinsame Stoßrichtung gegen das Kapital aufweisen, mit der man die Meinung und Stimmung von möglichst vielen beeinflussen und möglichst viele gewinnen kann, aus der Zuschauerrolle herauszutreten und aktiv zu werden. Mit der jetzigen Fassung des Frankfurter Appells ist das nicht oder nur teilweise möglich. Die Konferenz zeigt in aller Deutlichkeit unsere Schwächen und eine Oberflächlichkeit auf, an deren Überwindung wir alle arbeiten sollten. 

Wir treten dafür ein, dass die verabschiedete Fassung des Frankfurter Appells, wie oben dargestellt, korrigiert wird. Das kann erst auf der nächsten Konferenz des Bündnisses gegen Lohn- und Sozialabbau geschehen, da kein anderes Gremium die Autorität hat, die Beschlüsse der Konferenz vom Dezember 2006 zu ändern. Erst nach einer solchen Änderung könnten auch wir, die wir an der Entstehung des Frankfurter Appells und an dem Entwurf für seine Weiterentwicklung maßgeblich beteiligt waren, uns in der Stoßrichtung des neuen Appells wiederfinden. 

Der Frankfurter Appell muss wieder zur verbindenden Klammer für die kämpferischen Teile der sozialen Bewegung gegen Lohn- und Sozialabbau werden. 

13.12.2006 
Thomas Amm (Frankfurt), Christiaan Boissevain (München), Reinhard Frankl (Bessenbach), Frank Jäger (Wuppertal), Petra Kirstein (Berlin), Michael Köster (Frankfurt), Heinz Mittelstädt (Neu-Anspach), Rainer Roth (Frankfurt), Sturmi Siebers (Dortmund) 
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