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http://emanzipatorische-linke.de

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Dies ist eine Seite, die der programmatischen Diskussion um die künftige neue Linkspartei (Neue Linke) gewidmet ist.


Hier soll weder einer Strömung noch einer exklusiven Meinung gefrönt werden. Vielmehr sind alle demokratischen SozialistInnen aus Linkspartei und WASG, alle modernen antikapitalistischen, kapitalismuskritischen Linken eingeladen sich zu beteiligen. Wir wollen hiermit einen Diskurskorridor eröffnen.


Als wichtiger Ausgangspunkt unserer Debatten sehen wir das gegenwärtige Programm der Linkspartei.PDS. Wir werden hier Texte über philosophische Grundlagen, Ideen für radikale Transformationsprojekte und emanzipatorische politische Methodik veröffentlichen und zur Diskussion stellen. Darüber hinaus soll sich hier auch eine Schnittstelle zu emanzipatorischen Linken entwickeln, die sich nicht in Parteien organisieren wollen.


Als Beitrag zur programmatischen Debatte der Linkspartei und den Strategiedebatten der Linken wollen wir Konferenzen und Workshops organisieren.

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Freiheit und Sozialismus - Let's make it real

http://emanzipatorische-linke.de/freihe ... ozialismus

Viel Text in dem das Grundeinkommen verpackt wird

von: Julia Bonk * Katja Kipping * Caren Lay
Es ist an der Zeit, unsere Vorstellungen für eine emanzipatorische Linke zu Papier zu bringen. Wir wollen uns damit einmischen in die Debatte um die Ausrichtung der neuen Linkspartei.


Dieser Parteineubildungsprozess findet statt vor dem Hintergrund konkreter sozialer Auseinandersetzungen, die von einer Wertediskussion auf ideologischem Feld begleitet werden. Dazu gehört, dass unter Reformen mit verschiedenen Namen in den letzten Jahren Sozialabbau, Lohndumping, Privatisierung öffentlichen Eigentums und Umverteilung von unten nach oben forciert wurden. Dazu gehört auch, dass mit dem Ruf nach vermeintlicher Freiheit und Eigenverantwortung Entsolidarisierung und die Privatisierung individueller Risiken vorangetrieben wurde. Wobei von diesen Risiken besonders jene bedroht sind, die durch die Freiheit der Starken unterdrückt werden. Gegen diese Entwicklung wollen wir einen linken Kontrapunkt setzen. Klar ist: Der Findungsprozess einer Neuen Linken ist ein wichtiger Schritt, um auf diese Auseinandersetzungen Einfluss zu nehmen. Dabei kann es nicht nur darum gehen, defensiv den Status quo zu verteidigen. Es kommt viel mehr darauf an, linke Alternativen für die Gesellschaft zu entwickeln. Wir wollen in diesen Parteineubildungsprozess Ansätze emanzipatorischen Denkens einbringen, die bereits wesentliche Bestandteile des Programms der Linkspartei sind.


Es geht uns darum, Freiheit und Selbstbestimmung ebenso wie Solidarität als grundlegende Motive linker Politik zu etablieren. Dabei unterscheidet sich unser Verständnis von Freiheit fundamental von dem Zerrbild der Freiheit, das Wirtschaftslobbyisten und ihre gläubigen Anhänger in der Politik zeichnen. Für uns bedeutet Freiheit nicht die Freiheit der Stärkeren, Schwächere auszubeuten. Freiheit und Selbstbestimmung sind ohne soziale Sicherheit nicht oder nur beschränkt einlösbar. Die freie Entfaltung einer und eines jeden bedarf universeller sozialer und Teilhaberechte. Insofern wollen wir die bestehenden ökonomischen Machtverhältnisse ändern - und zwar grundlegend. Die neue Linke muss deswegen sowohl um die gemeinschaftliche Verfügungsgewalt über Produktionsmittel als auch um die Verfügungsgewalt über das eigene Leben kämpfen. Ansatz und Ziel unseres emanzipatorischen Denkens ist Freiheit von sozialer Repression und die Freiheit, einen Lebensentwurf selbst wählen und gestalten zu können. Das wollen wir auf allen Ebenen und in allen Politikbereichen einbringen.


Wenn wir den Begriff der "emanzipatorischen Linken" aufnehmen, dann geht es uns nicht um eine Gruppe, der man per Unterschrift beitritt oder eine weitere Strömung, die den Konflikt zwischen vermeintlichen "Realos" und "Fundis" fortsetzen soll - einen Konflikt, an dessen Linien wir uns nicht wieder finden und den wir auch für überholt halten. Es geht viel mehr um eine gemeinsame Grundlage einer pluralen, linken Partei. Eine gemeinsame Grundlage ist notwendig, um Differenz nicht in Beliebigkeit und Selbstzerstörung enden zu lassen. Eine solche Grundlage kann nur aus gemeinsam Anerkanntem kommen. Das Programm der Linkspartei muss für die inhaltliche Ausrichtung der Neuen Linken einen wichtigen Beitrag leisten.


Eine emanzipatorische Linke darf, wenn sie sich ernst nimmt, nicht nur ihre theoretischen Grundlagen verkünden. Sie muss ihre Grundsätze auch bei der Lösung konkreter Probleme anwenden. Emanzipatorische Politik zielt auf die konkrete Welt, aber sie hat den Mut, eine andere Welt zu denken und auf diese mit Transformationsprojekten hinzuarbeiten. Die Einheit zwischen Protest, Gestaltung und über den Kapitalismus hinausweisender Alternativen ist eine schon im "strategischen Dreieck" beschriebene Notwendigkeit.


Eine emanzipatorische Linke kann in ihren Methoden nicht von ihren Werten abweichen, wie dies im Programm der Linkspartei bereits festgestellt wird. Niemand kann durch andere emanzipiert werden, dies kann nur durch jede und jeden selbst erfolgen. Emanzipatorische Politik muss dies ermöglichen.


Staat und Politik müssen im Sinne des öffentlichen Interesses handlungsfähig bleiben. Deshalb kämpfen wir für den Erhalt und den Ausbau der öffentlichen Daseinsvorsorge und gegen die fortschreitende Privatisierung von Daseinsfürsorge. Der Macht der Unternehmerverbände, die das gesamte Leben zu einer Ware machen wollen, setzen wir eine Revitalisierung des Politischen entgegen.


Die Frage nach einer Alternative zu Kapitalismus und unfreien Verhältnissen wird von Sozialistinnen und Sozialisten unterschiedlich beantwortet. Unsere Antwort ist nicht einstimmig und sie wird und sie soll es auch nie sein. Eine neue Linkspartei muss die Pluralität ihrer Ansätze und Traditionen anerkennen, von denen die Arbeiterbewegung eine wesentliche, aber nicht die einzige ist. Neben ihr gibt es andere linke Bewegungen, die für Emanzipation streiten: für Emanzipation von rassistischer und sexistischer Unterdrückung, für die Abschaffung von Diskriminierung aufgrund von Behinderung und sexueller Orientierung, Bewegungen, die neue Gerechtigkeitsfragen thematisieren, oder wie es die neue Linke der 70er Jahre getan hat, für Freiheit von staatlicher und autoritärer Unterdrückung streiten. Diese Erfahrungen müssen in einer neuen Linken aufgehoben sein. Vor diesem Hintergrund warnt uns die Geschichte der Linken auch vor ökonomistischen Verkürzungen, bekannt als die Hauptwiderspruchsfalle. Wir lehnen es ab, darüber zu entscheiden, welche Ursachen von Unfreiheit die eigentlichen oder wichtigeren sind.


Aber wir wollen darüber diskutieren, was das Gemeinsame an unseren Antworten ist. Für die Linkspartei ist Emanzipation, verstanden als die freie Entwicklung einer und eines jeden als Bedingung der freien Entwicklung aller, ein Schlüsselbegriff ihrer Programmatik. Die Geschichte der Linken verpflichtet uns jedoch, dies nicht als selbstverständlich hinzunehmen. Leider wurde und wird im Namen sozialistischer oder kommunistischer Zielsetzungen die individuelle Freiheit nur zu oft als nachrangig betrachtet.
Grund-, Freiheits- und Menschenrechte haben nicht in allen Phasen und Strömungen der Linken den prominenten Platz gehabt, der ihnen gebührt - nämlich einen Platz auf gleicher Augenhöhe mit sozialen Rechten. Für uns als demokratische SozialistInnen ist klar: Freiheit ist nichts, was aufgeschoben oder im Interesse anderer Ziele eingeschränkt werden darf. Wir brauchen die gleiche Freiheit wie die Luft zum atmen. Sie ist Sinn unserer Politik. Es ist Aufgabe einer modernen Neuen Linken, Freiheit und Gleichheit zu versöhnen, anstatt der unsinnigen Ideologie aufzusitzen, dass das eine wichtiger sei als das andere. Freiheit und Gleichheit schließen sich nicht aus, sie bedingen sich vielmehr.
Ebenso hat die Linke keinen Alleinvertretungsanspruch auf Emanzipation, auch der aufklärerische Liberalismus verfügte, im Gegensatz zum Neoliberalismus, über Emanzipationspotenziale. Deshalb halten wir es richtig, von einer emanzipatorischen Linken zu sprechen.


I. Kritik des unfreien Lebens


Wider die kapitalistische Barbarei - Kritik der bestehenden ökonomischen Machtverhältnisse


Die globalisierte Weltwirtschaft produziert immensen Reichtum, noch nie soviel wie heute. Und zugleich erzeugt sie Armut und Elend. 2004 verfügten 587 Milliardäre über 1,9 Billionen Dollar, dies waren 500 Milliarden Dollar mehr, als im Vorjahr. Die meisten dieser Milliardäre sind US-Amerikaner, danach folgen Deutsche und Russen. In Afrika, südlich der Sahara, hungern im Jahr 2005 30% der Bevölkerung, 39% sind Analphabeten, zwei Drittel haben keinen Zugang zu sanitären Anlagen. Elend und Armut im Trikont sind in ihrem Ausmaß sicher kaum vergleichbar mit Armut in Deutschland oder der EU. Doch auch innerhalb der reichen Länder des Nordens verschärfen sich die ökonomischen Unterschiede. Von 2003 bis 2005 wuchs das Bruttoinlandsprodukt in der BRD um 80,6 Milliarden Euro, die Einkommen aus Unternehmen und Vermögen im selben Zeitraum um 86,7 Milliarden Euro. Die Arbeitnehmerentgelte sanken um 2,2 Milliarden Euro.
Die Verteilung des gesellschaftlichen Wohlstandes entsprechend der Macht- und Eigentumsverhältnisse ist eine der zentralen Ursachen für die Verhinderung eines selbstbestimmten Lebens. Zum einen lässt der Mangel an entscheidenden Mitteln zum Leben in den ärmsten Regionen der Welt Selbstbestimmung und Entfaltung als nachrangig hinter dem unmittelbaren Bedürfnis zum Überleben werden. Zum anderen ist auch in den reicheren Ländern der Zugang zu den gesellschaftlichen Ressourcen entscheidend für die tatsächlichen Entfaltungsmöglichkeiten.


Der Zwang zur Arbeit und die Krise der Arbeitsgesellschaft


Die Arbeitswelt befindet sich im Wandel. Durch den Anstieg der Produktivität werden immer mehr Dienstleitungen und Produkte von immer weniger Beschäftigten bereitgestellt. Es scheint daher paradox: Obwohl immer mehr Menschen verzweifelt einen Job suchen, nehmen Repressionen gegenüber Erwerbslosen immer mehr zu. Der Zwang zur Aufnahme von Arbeit funktioniert auf verschiedene Weise - sowohl durch administrative Repressionen, als auch durch soziale Sanktionen und Stigmatisierung sowie faktisch über das Anziehen finanzieller Daumenschrauben.
Wir lehnen jeglichen Zwang zur Arbeit ab. Das Recht und die Freiheit, seinen Arbeitsplatz selbst aussuchen zu können, ist eines der fundamentalen Grundrechte, die wir als Linke verteidigen müssen. Schließlich wissen wir um den entfremdeten Charakter von Erwerbsarbeit unter kapitalistischen Verhältnissen. Die materielle Absicherung ist ein Menschenrecht. Der Staat hat nicht das Recht, durch Arbeitszwang Existenzsicherung in Frage zu stellen - wie zum Beispiel bei der Verweigerung, einen Ein-Euro-Job anzunehmen. Nur wenn man die Tätigkeit, mit der man einen großen Teil seiner Lebenszeit ausfüllt, frei wählen kann, hat man Verfügungsgewalt über sein eigenes Leben. Der Zwang zur Arbeit schwächt zudem die Verhandlungssituation der (potentiell) Beschäftigten gegenüber den Unternehmen. Der bzw. die einzelne darf nicht dafür bestraft werden, dass Wirtschaft und Politik darin versagt haben, den Fortschritt zum Wohle aller zu nutzen.


Erwerbslosigkeit stellt in dieser Gesellschaft für viele das zentrale Problem dar, weil Wertschätzung, soziale Kontakte und Sinnstiftung für die meisten vorrangig über Erwerbsarbeit realisiert werden. Wir müssen diese Bedürfnisse ernst nehmen und sind uns der Notwendigkeit bewusst, neben der gerechteren Verteilung der vorhandenen Erwerbsarbeit andere Formen von Tätigkeit und Sinnstiftung zu befördern. Aber es ist nicht Aufgabe einer modernen Linken, unkritisch in den Chor "Arbeit muss her!" einzustimmen. Es ist unmöglich und kann nicht gewollt sein, die Krise der fordistischen Arbeitsgesellschaft durch ihre Wiederherstellung zu überwinden. Denn dies würde der Entwicklung der Produktivkräfte nicht mehr entsprechen. Wir betrachten es als einen Fortschritt, wenn die Entwicklung der Produktivkräfte schwere und entfremdete Arbeit überflüssig machen kann. Gleichzeitig entstehen Freiräume für andere Arten von Tätigkeit, die es zu nutzen gilt.
Die sozialen Sicherungssysteme sind auf diesen Wandel der Arbeitswelt bislang nur unzureichend eingestellt. Sie sind aus sozialen Kämpfen der Arbeitsgesellschaft hervorgegangen und orientieren in ihren Leistungen auf die Absicherung von erwerbstätigen Arbeitnehmern und in ihrer Finanzierung auf den Faktor Erwerbsarbeit. Für nicht erwerbstätige Frauen war dies schon immer eine Armutsfalle - angesichts von Massenarbeitslosigkeit, prekären Arbeitsverhältnissen und gebrochenen Erwerbsbiographien wird der Zugang zu den gesellschaftlichen und natürlichen Ressourcen für immer mehr Menschen, die nicht über Unternehmen oder deren Anteile verfügen, dauerhaft prekär. Und je schlimmer die Situation von Erwerbslosen, um so eher sind die noch Beschäftigten bereit, alles für den Erhalt ihres Arbeitsplatzes zu tun. Damit wächst die Macht der Unternehmen bei Verhandlungen über Arbeitsbedingungen und Arbeitsinhalte sowie über die Höhe der Entlohnung.


Repressive Normsetzung


Unterdrückung trägt viele Gesichter. Neben ökonomischen Abhängigkeitsverhältnissen können auch als hegemonial angenommene Lebensweisen bzw. Normen repressiv wirken - zumindest gegenüber denjenigen Menschen, die diesen Vorstellungen nicht folgen wollen. Insofern sorgt jeder Versuch, bestimmte Lebensentwürfe als die "eigentlichen" und "normalen" zu etablieren, für die Unterdrückung von Individuen unter die Gemeinschaft. Zwar existieren in der Gesellschaft verschiedene Normalitätsräume, so erscheint in einem Schwulenkneipe anderes selbstverständlich als in einer katholischen Gemeinde. Jedoch üben manche Werte eine stärkere Hegemonie aus, so dass andere Lebens- und Liebesweisen immer noch mit abwertender Distanz betrachtet werden bzw. offen diskriminiert werden. Gesellschaftliche Normalitätsvorstellungen dürfen unserer Meinung nach keine unhinterfragte Grundlage linker Politik sein. Im Gegenteil: Repressive Normsetzung zu kritisieren, ist für uns ein wichtiges Handlungsfeld linker Politik. Wie die Menschen auf Grundlage der allgemeinen Menschenrechte und unter Anerkennung der Freiheit des Andersdenkenden ihr Leben gestalten, geht den Staat nichts an. Er hat unterschiedliche Lebensentwürfe nicht zu bewerten. Erst wenn das erreicht ist, besteht die tatsächliche Möglichkeit, den eigenen Lebensentwurf im Bezug auf (Vor)Lieben, Einstellung zur Erwerbsarbeit, zum Konsum illegalisierter Substanzen und allem mehr, frei zu wählen.
Dabei geht es uns nicht nur um den Schutz von Minderheiten. Von einengenden Rollenklischees, Stigmatisierung aufgrund von Armut, der Erfahrung von Gewalt und nicht zuletzt durch die Einführung von Zwangskollektiven in Form von "Bedarfsgemeinschaften" sind inzwischen weite Teile der Bevölkerung betroffen.
Im Sinne individueller Freiheit einer und eines jeden Einzelnen muss die permanente Normalisierung bestimmter Lebensentwürfe beständig hinterfragt werden.


Nein zum autoritären Sicherheitsstaat


Der Schutzgedanken des Grundgesetzes zielt ab auf dem Schutz der Bürger und Bürgerinnen vor dem Staat. Das ist ein Grundsatz des Rechtsstaates. Die gegenwärtige Sicherheitspolitik dreht diesen Gedanken um: der Staat scheint vor seinen BürgerInnen beschützt werden zu müssen. Wir erleben die Transformation des Rechtsstaates in einen Ordnungsstaat. Allen Bemühungen einer zunehmenden Demokratisierung zum Trotz sind autoritäre Elemente in Staat und Gesellschaft an der Tagesordnung. Ob in Schule oder Betrieb oder im Staat selbst: Wir begegnen intransparenten Strukturen, hierarchischen Machtverhältnissen und mangelnden Möglichkeiten, Politik und Lebenswelt selbst mit zu gestalten.
Mit der Überbetonung eines notwendigen Schutzes vor terroristischer Bedrohung werden zudem seit dem 11. September 2001 verschiedene innenpolitische Maßnahmen begründet, die die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger einschränken. Im Interesse von vermeintlich mehr innerer Sicherheit soll Telefonüberwachung und Abschiebung erleichtert werden. Die Erfassung von biometrischen Personendaten wird zunehmend Realität, der Einsatz der Bundeswehr zur Konfliktschlichtung im Innern wird diskutiert und sogar die Forderung nach Wiedereinführung der Folter wird formuliert. Zunehmend werden Überwachungskameras von öffentlicher und privater Hand installiert und Volkszählungen vorbereitet.
Der Schutz der Privatsphäre, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und die Freiheit von Gewalt sind aber integrale Bestandteile einer demokratischen Verfassung, auf die eine demokratische und freiheitliche Gesellschaft gegründet sein muss. Eingriffe in der Handlungsfreiheit der Bürger müssen der Verhältnismäßigkeit unterliegen und dürfen nie "total" sein. Sie müssen für alle Menschen gelten, auch wenn sie keine deutsche Staatsbürgerschaft haben. In der Diskussion über mehr Sicherheit darf die Wahrung der Freiheit nicht vernachlässigt werden.


II. Zentrale Transformationsprojekte


Die Gesellschaft verändern wir natürlich nicht über Nacht. Aber geleitet von dem Ziel, individuelle Freiheit sowie gesellschaftliche Solidarität umfassend zu gewährleisten, können Transformationsprojekte beschrieben werden. Angesichts des Parteineubildungsprozesses der Neuen Linken wollen wir diejenigen Transformationsprojekten hervorheben, die uns zentral erscheinen, die das Potential haben, die Gesellschaft sowie die ökonomischen Machtverhältnisse schrittweise zu verändern und zu denen wir Diskussionsbedarf sehen.


Soziale Sicherheit ist individuell - Abschied vom Ernährermodell


Die Zukunft der sozialen Sicherungssysteme, die eine Grundvoraussetzung für Freiheit und Demokratie sind, ist sicherlich eines der wichtigsten Handlungsfelder linker Politik. Wir wollen Sozialabbau nicht nur defensiv begegnen, sondern sehen in der Formulierung von alternativen Ansätzen die beste Gegenstrategie.


Der Sozialstaat darf nicht abgebaut werden, sondern gehört ausgebaut. Und das auf der Höhe der Zeit. Die sozialen Sicherungssysteme werden dann zukunftsfest, wenn sie alle Bürgerinnen und Bürger versichern und wenn sie sich nicht nur über Löhne, sondern deutlich stärker über Wertschöpfung sowie über die Besteuerung von Vermögen und Gewinne finanziert werden. Sie müssen der Auflösung des Normalarbeitsverhältnisses Rechnung tragen.
Deshalb kann es einem demokratischen Sozialstaat nicht mehr nur um die Absicherung der Erwerbstätigen in Notlagen gehen. Angesichts der zunehmenden Brüche in Erwerbsbiografien muss ein Mindestmaß an gesellschaftlicher Teilhabe im Alter, bei Krankheit oder bei Erwerbslosigkeit ermöglicht werden. Denn ein demokratischer Sozialstaat garantiert allen EinwohnerInnen die gleichen Möglichkeiten gesellschaftlicher Teilhabe unabhängig von Erwerbsstatus und unabhängig davon, ob es sich um Deutsche oder hier lebende MigrantInnen handelt. Maßstab für soziale Sicherung ist der Bedarf und das Recht auf ein Leben in Würde - und nicht nur die Dauer der Beitragszahlung.


Deshalb streiten wir für soziale Sicherungssysteme, die konsequent vom Individuum aus gedacht werden und von einem individuellen Rechtsanspruch ausgehen. Das sollte, wie in anderen europäischen Staaten auch, für das Sozial-, Steuer- und Arbeitsrecht gleichermaßen gelten.
Doch bislang ist die traditionelle Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern in Form des "Ernährermodells" Grundlage unseres Sozial-, Arbeits- und Steuerrechts. Dies stellt nicht nur eine Diskriminierung von Frauen dar, es ist der aktuellen Pluralisierung der Lebensentwürfe schlichtweg nicht mehr angemessen. Eine neue Linke sollte den Mut haben, sich von diesen alten Zöpfen zu verabschieden. Sie sind einer modernen Linken nicht angemessen. Bestehende Formen der Bedarfsgemeinschaft und gegenseitiger Unterhaltsansprüche zwischen Erwachsenen stellen Formen der Zwangsvergemeinschaftung dar, die wir ebenso ablehnen wie die Subventionierung der Hausfrauenehe durch das Ehegattensplitting. Individuelle Rechtsansprüche sind modern. Erzwungene Abhängigkeiten sind es nicht.


In Freiheit tätig sein - Grundeinkommen und Arbeitszeitverkürzung


Wenn angesichts des industriellen und technologischen Fortschritt immer weniger Menschen herkömmlicher Erwerbsarbeit nachgehen können, muss über eine Entkopplung von Erwerbsarbeit und Existenzsicherung nachgedacht werden.


Den Zugang zu gesellschaftlichen Ressourcen repressionsfrei, ohne bürokratische Gängelung und auf einem möglichst hohen Niveau sicherzustellen, ohne gezwungen zu sein, seine Haut auf den Arbeitsmarkt zu tragen, bedingt eine grundsätzliche Veränderung des Verteilungsprinzips. Deshalb bedarf es mindestens einer sozialen, repressionsfreien und gesellschaftliche Teilhabe gewährleistenden Grundsicherung ohne erniedrigende Bedarfsprüfung und ohne Zwang zur Arbeit, wobei eine solche Grundsicherung zu einem bedingungslosen Grundeinkommen weiterentwickelt werden sollte. Dadurch wird der Einzelne in die Lage versetzt, selbst zu entscheiden, mit welchen Tätigkeiten er sich selbst verwirklichen, dem Gemeinwesen nützen und seinen Lebensunterhalt verdienen möchte. Darüber hinaus stärkt es die Verhandlungsmacht derer, die auf den Verkauf ihrer Arbeitskraft angewiesen sind.
Eine so ausgestaltete Grundsicherung und perspektivisch ein bedingungsloses Grundeinkommen befördern zudem die Chance, eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung politisch durchzusetzen - eine Forderung, die wir als Linke wesentlich offensiver stellen sollten. Denn während die einen immer länger arbeiten, um ihren Arbeitsplatz und Einkommen zu sichern, wird immer größeren Teilen der Bevölkerung der Zugang zur Erwerbsarbeit verwehrt. Wer jeden Monat sicher eine feste Summe erhält, kann es sich eher leisten, weniger Stunden die Woche zu arbeiten oder sich ein Sabbatjahr zu gönnen. Denn worin sonst liegt der Sinn in technischem Fortschritt und Produktivitätsgewinnen, wenn nicht darin, mehr Zeit für sich, für Freunde und Familie zu haben?
Auch die Förderung solidarischer und selbst organisierter Formen des Wirtschaftens, etwa in Form von Genossenschaften, stellen einen wichtigen Schritt zur Erlangung der gemeinschaftlichen Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel und zur Demokratisierung der Wirtschaft dar.


Demokratie, die wir meinen: Ausbau der Grund- und Freiheitsrechte


Für uns meint Demokratie nicht nur das Bekenntnis zum Rechtsstaat, sondern auch die Demokratisierung aller Lebensbereiche, einschließlich der Wirtschaft. Als demokratische SozialistInnen streiten wir konsequent für eine Verbesserung der Rechtsposition von Beschäftigten, VerbraucherInnen, PatientInnen, SchülerInnen, Studierenden, SeniorInnen und all derjenigen, die bislang nur unzureichende Möglichkeiten zur Gestaltung der eigenen Lebenswelt hatten.
Wir wollen nicht nur eine deutliche Ausweitung von Möglichkeiten direkter Demokratie, sondern wollen Nachvollziehbarkeit und Transparenz sicherstellen. Dafür braucht es umfassender Informationsrechte der Menschen über das, was in Verwaltungen und Wirtschaft passiert. Dies gilt auch und gerade für öffentliche Unternehmen. Weil wir sie stärken wollen, sollten wir durch mehr Transparenz ihre Akzeptanz erhöhen. Getreu dem Motto "Public services under public control" müssen die öffentlichen Angelegenheiten Gegenstand öffentlicher Auseinandersetzung sein.


Jede und jeder hat ein Recht auf Privatsphäre. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung durchsetzen, jeder und jedem die Verfügungsgewalt über die eigenen Daten zu ermöglichen - also entscheiden zu können, wer und in welchem Umfang Einblicke in seine Lebensumstände haben darf und wer nicht, sowohl politisch als auch kommerziell - ist für uns von grundlegender Bedeutung. Gegenwärtig heißt dies vor allem, das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) inhaltlich und räumlich zu erweitern. Wir fordern eine Ausweitung auch auf geheimdienstlich erhobene Daten und wollen alle Bundesländer dazu verpflichten, dieses Gesetz auch auf Landesebene zu implementieren. Außerdem ist die Kostenfreiheit des Auskunftsanspruches zu gewährleisten.


Menschenrechte stärken bedeutet für uns, deren Unteilbarkeit anzuerkennen und einzufordern. Für emanzipatorische Linke stehen die drei Elemente, klassische - so genannte unveräußerliche - liberale BürgerInnenrechte, politische Teilhaberechte sowie soziale und wirtschaftliche Teilhaberechte nicht nur gleichberechtigt nebeneinander. Vielmehr bedingen sie einander.
Bildung - egalitär und im Zeichen von Selbstbestimmung


Mündigkeit ist Grundvoraussetzung selbst bestimmten Lebens, Bildung muss zu einem selbständigen und eigenverantwortlichen Leben befähigen. Diese Mündigkeit muss allen Menschen ermöglicht werden, unabhängig von ihrem jeweiligen Geburtshintergrund. So war und ist Bildung eine der zentralen Gerechtigkeitsfragen und wird es auch in Zukunft sein. Wir wollen ein Bildungswesen, das von der Kita an soziale Unterschiede nicht reproduziert, sondern jeder und jedem die Möglichkeit einer eigenständigen Entwicklung eröffnet. Darum wollen wir einen gleichen und kostenfreien Zugang zu allen Bildungsinstitutionen - ein Leben lang.


Insbesondere die Schule, aber auch die weiterführenden Einrichtungen ermöglichen heute nicht einmal die von ihnen als Anspruch verkündete Vorbereitung auf das Berufsleben. Dies zu ändern, ist uns ein Anliegen. Bildung soll ein eigenständiges freies Leben ermöglichen. Die einseitige Orientierung auf die vermeintliche Erwerbsbiographie als Kern einer neoliberalen Bildungsreform wird diesem Anspruch nicht gerecht und widerspricht ihm sogar.


Das Erlangen von Wissen und Fähigkeiten in selbst bestimmten Lernprozessen für alle Menschen muss das Ziel egalitärer und emanzipativer Bildung sein. Hierfür muss sich das Grundverständnis von Bildungsinstitutionen ändern: individuelle Stärken, Schwächen und Neigungen der Einzelnen müssen in den Mittelpunkt gestellt werden und sich in der Gemeinschaft entwickeln können. Und das in einem grundsätzlich integrierten Bildungswesen: egalitäre und emanzipative Bildung braucht zum Beispiel andere Schulformen, in denen länger gemeinsam gelernt werden kann. Ebenso wichtig sind alternative Lern- und Lehrmethoden und die Möglichkeit selbst bestimmter Lernprozesse. Hierfür müssen dem und der Einzelnen Freiräume geschaffen werden. Individualität darf im Sinne von Mündigkeit nicht nivelliert, sondern muss gefördert werden.
Für eine andere Schul- und Lernkultur bedarf es demokratischer Schulen, in denen der gemeinsame Weg gemeinsam entwickelt wird. Mehr organisatorische und pädagogische Freiräume für die einzelne, grundlegend demokratische Bildungsinstitution sind ein Schritt hin zu anderem Lernen für alle.


III. Wie es geht


Niemand kann emanzipiert werden, dies ist am Ende immer die Angelegenheit einer und eines jeden selbst. Aber wir betrachten es als eine zentrale Aufgabe sozialistischer, emanzipatorischer Politik, Räume für freie Entfaltung aller zu eröffnen. Freiheit für jede und jeden Einzelnen wird nur durch gesamtgesellschaftliche Umverteilung ermöglicht werden. Ein Politikansatz, nach dem der Staat die Lebensweisen paternalistisch "für" die Menschen regelt, ist jedoch kein Weg. Wir setzen auf die Kräfte der Zivilgesellschaft, auf die Widerstandstradition der sozialen Bewegungen und die Lust der Einzelnen, die eigene Welt demokratisch zu gestalten. Dieses Verständnis unterscheidet sich grundlegend vom neoliberalen Ruf nach mehr "Eigenverantwortung", was nichts anderes meint, als die Privatisierung sozialer Risiken.


Und nicht zuletzt setzen wir auch auf eine starke, moderne, demokratisch-sozialistische Partei, die ihren Charakter als Mitgliederpartei und als eigenständige und politisch handlungsfähige Struktur bewahren und gleichzeitig zahlreiche offene Schnittstellen für Initiativen, Projekte und engagierte parteilose Menschen anbieten muss. Es geht sowohl um Handlungsfähigkeit auf parlamentarischer Ebene als auch gleichzeitig um eine völlig neue Qualität der Kommunikation und Interaktion mit sozialen Bewegungen und Zivilgesellschaft.


Welche Veränderungen im Sinne sozialistischer Politik aber auch immer angestrebt werden: Ausschließende, intransparente und herrschaftliche Methoden konterkarieren jeden noch so fortschrittlichen Ansatz. Der Weg der Beteiligung möglichst vieler Interessierter und Betroffener an der politischen Entscheidungsfindung ist zwar mühsam, jedoch der einzig mögliche für einen emanzipatorischen Politikansatz.


Was für die gesellschaftlichen Konzepte einer linken, emanzipatorischen Partei gilt, gilt auch für ihre internen Prozesse und gilt natürlich auch für den gerade stattfindenden Parteineubildungsprozess. Eine Partei, in der intern nicht auf Augenhöhe verhandelt würde, könnte dies notwendigerweise auch nicht mit einer anderen Organisation. Daher sind reine top-down Prozesse oder gar autoritäre Führungsstile eine Gefährdung für einen demokratischen Parteineubildungsprozess. Der mit Sicherheit sehr mühsame Prozess der umfassenden und gleichberechtigten Beteiligung ist auch hier ein entscheidender Garant für das erfolgreiche Gelingen des Parteineubildungsprozesses, an dessen Ende eine Partei steht, in der die emanzipatorischen Politikansätze der Linkspartei.PDS gut aufgehoben sind.


Wir wollen unsere Gedanken zu emanzipatorischer linker Politik in den Parteineubildungsprozess einbringen. Es gehört zu unserem Grundverständnis, diese nicht als gesetzt in den Raum zu stellen. Viel mehr wollen wir einen Diskurskorridor eröffnen. Alle, für die Freiheit und Gleichheit ebenso wie Solidarität die zentralen Elemente linker Politik sind, rufen wir daher auf, sich mit uns in die Auseinandersetzung um emanzipatorische Politik und auf den Weg zu einer neuen Linken zu machen. Wir freuen uns darauf.


Auch dank dem Wirken der Linken weltweit haben die Menschen inzwischen mehr zu verlieren als nur ihre Fesseln. Aber es gilt heut heute mehr denn je viel zu gewinnen: Eine andere Welt ist schließlich nicht nur nötig sondern auch möglich. Leisten wir in der gemeinsamen Herausbildung einer NEUEN LINKEN in diesem Land unseren Beitrag dazu!

Julia Bonk
Katja Kipping
Caren Lay

April 2006

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