Götz Werner * TAZ-Interview 27.11.2006

alte Leserbriefe und eventuell Brauchbares
Antworten
Gast

Götz Werner * TAZ-Interview 27.11.2006

Beitrag von Gast »

Aus Die TAZ
Auszug aus "Hartz IV löst nur Leid aus"
(...)

"Hartz IV ist offener Strafvollzug", haben Sie einmal gesagt. "Es ist die Beraubung von Freiheitsrechten. Hartz IV quält die Menschen, zerstört ihre Kreativität."
Das gilt immer noch. Ist es das, was wir uns unter einer freiheitlichen Gesellschaft vorgestellt haben: dass die Behörden hinterherschnüffeln, wie die Arbeitslosen leben? Hartz IV verstößt gegen einen elementaren Grundsatz: Was du nicht willst, das man dir antut, das füg auch keinem andern zu. Mit Hartz IV werden die Menschen sozial ausgegrenzt. Es gehört abgeschafft.
(...)

Das erzählen Sie mal einem Arbeitslosen, der sich nichts sehnlicher wünscht als einen ordentlichen Job.
Die Arbeitslosen haben wir nur, weil wir den Begriff der Arbeitslosigkeit verwenden. Die meisten so genannten Arbeitslosen haben ja Arbeit, sie liegen nicht den ganzen Tag auf der Couch und gucken Pro 7. Sie sind beschäftigt, in der Familie, in der sozialen Arbeit, im Sportverein. Sie tun wertvolle Dinge. Wenn sich jemand um seine Kinder kümmert, dann ist er für die Gesellschaft doch viel wertvoller, als wenn er in einer Fabrik Deckel auf die Flaschen dreht.
(...)

Arbeitsminister Franz Müntefering zitiert gern die Bibel und August Bebel: Wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen.
Müntefering ist ein paar hundert Jahre zurückgeblieben. Er lebt noch in der Selbstversorgungsgesellschaft, als alle gegen den Mangel gewirtschaftet haben. Damals galt: Wer seinen Acker nicht bebaute und sein Feld nicht bestellte, der war selbst daran schuld, wenn er nichts zu essen hatte. Jetzt leben wir in der Fremdversorgungsgesellschaft. Ich kann gar nicht für mich allein arbeiten. Immer wenn ich arbeite, arbeite ich für jemand anderen. Ich brauche also ein Einkommen, um am gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können.
(...)

Sie setzen 1.500 Euro für dieses kulturelle Minimum an?
Nein. Diese 1.500 Euro habe ich in einem Interview einmal als Zukunftsvision ins Spiel gebracht. Die Einführung des Grundeinkommens geht natürlich nur schrittweise. Beginnen könnten wir mit 800 bis 1.000 Euro für jeden Bürger.

Für jeden das Gleiche?
Die Höhe könnte sich an einem Lebensbogen orientieren. Kinder könnten also zunächst einen geringeren Betrag bekommen.

Aber es gilt: keine Gegenleistung, keine Verpflichtung?
So ist es. Ein Grundeinkommen ohne jede Bedingung. Einfach als Ausdruck der Tatsache, dass jeder Mensch als Teil der Gemeinschaft anerkannt wird.
(...)

Trotzdem bleibt die Frage: Woher soll dieses Geld kommen?
Aus Steuern.

Aha. Noch mehr Steuern.
Nein. Ich bin für eine sehr einfache Lösung. Alle Steuern weg, bis auf eine: die Mehrwertsteuer. Sie ist die einzige Steuer, die sinnvoll und gerecht ist.

Wie hoch soll sie sein?
Viel höher als heute. Vielleicht 50 Prozent.

Das müssen Sie erklären.
Der Sinn der Wirtschaft besteht doch darin, den Menschen Einkommen zu ermöglichen, indem Waren für den Verbrauch hergestellt werden. Im Gegensatz zu früher leben wir heute nicht mehr in einer Mangelwirtschaft. Wir stellen Waren im Überfluss her. Deshalb sollten wir den Verbrauch zur alleinigen Basis der Steuer machen. Nicht wer etwas leistet, sondern wer Leistungen anderer in Anspruch nimmt, soll Steuern zahlen. Also alle Steuern abschaffen - außer der Mehrwertsteuer.

Das soll gerecht sein? Warum wollen Sie Wohlhabende und Reiche zum Beispiel von der Einkommen- und Gewinnsteuer entlasten?
Weil die Reichen ihre Einkommen auch konsumieren - und damit ebenfalls die hohe Mehrwertsteuer zahlen würden. Oder sie investieren ihre Einkommen, was aber auch wieder zusätzlichen Konsum hervorruft. Am Ende landen Sie immer beim Verbrauch und damit bei der idealen Basis der Steuer.

Jeder zahlt Steuern entsprechend seiner Leistungsfähigkeit - das Prinzip würden Sie umstandslos entsorgen.
Warum das denn? Man kann die Mehrwertsteuer sozial gestalten. Einen sehr hohen Steuersatz für Luxusgüter, einen niedrigen für Güter des täglichen Bedarfs. Mit dem bedingungslosen Grundeinkommen und der Konsumsteuer würde Deutschland ein Investitionsparadies werden, das Arbeit nur so anzieht und viele Arbeitsplätze schafft.
(...)

Und Sie glauben daran, dass in Ihrer schönen Grundeinkommenswelt alle Menschen freiwillig arbeiten?
Mit dem bedingungslosen Grundeinkommen billigen wir jedem den Raum zu, in dem er in eigener Verantwortung die Arbeit ergreift, die er für notwendig und sinnvoll erachtet. Wir werden arbeiten, weil wir einen Sinn darin sehen - nicht, weil wir dazu gezwungen sind. Ist nicht erst das eine freie Gesellschaft, in der jeder Verzicht üben kann? In der jeder die Freiheit hat, Nein sagen zu können zu entwürdigenden Bedingungen? Befreit von ihren Existenzsorgen könnten die Menschen ihre Talente entfalten.
(...)

Was würden wir mit einem Grundeinkommen gewinnen?
Würde und Sicherheit - und Macht. Wir könnten einem Arbeitgeber sagen, dass wir bei ihm nicht mehr arbeiten wollen, weil er die Umwelt verschmutzt oder weil er seine Angestellten mies behandelt. Was glauben Sie, wie ein solches Grundeinkommen die Leistungsfähigkeit unserer Gesellschaft entfesselt.


Wer macht in Ihrer Welt die Arbeit, die keiner machen will? (...)
Möglicherweise müssen unangenehme Jobs höher bezahlt werden. Aber im Prinzip läuft es dann wie heute auch schon. Ein Beispiel: Wenn Sie wollen, dass morgens um fünf Uhr Ihre Zeitung ausgetragen wird, haben Sie immer nur drei Möglichkeiten. Erstens: Sie machen diese Arbeit so attraktiv, dass andere sie ausführen. Zweitens: Sie lassen die Arbeit durch Maschinen erledigen. Oder drittens: Sie machen sie selbst. Mit einem Grundeinkommen gäbe es jedoch einen gravierenden Unterschied: Die Arbeit würde freiwillig erledigt. Nicht mehr das Einkommen stünde im Vordergrund, sondern der Sinn der Arbeit. Das würde die volkswirtschaftliche Effizienz gewaltig steigern.
(...)

taz Nr. 8136 vom 27.11.2006, Seite 4-5, 486 Interview JENS KÖNIG / HANNES KOCH
© Contrapress media GmbH
Vervielfältigung nur mit Genehmigung des taz-Verlags
Antworten