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Daniel Kreutz

Verfasst: Mi Nov 24, 2010 4:56 am
von KlBi
Alte Kreutzschriften
2005: http://www.linksnet.de/de/artikel/19543

Der Anfang der Panik:
2006: forum.attac.de
An: genugfueralle@listen.attac.de, gruppen-diskussion@listen.attac.de, attacmod-d@listen.attac.de
Betreff: [Attacmod-d] bGE, Daniel und Rüdiger


Liebe KollegInnen,
nachdem auf dieser Liste immer noch unkommentiert und nach meinem Emfinden mit eher positiver Tendenz Botschafen über Aktivitäten von Propagandisten eines "bedingungslosen Grundeinkommens" vom Schlage Thomas Straubhaar (Chef des neoliberalen HWWI), Goetz W. Werner (Drogeriemarktkönig) oder Dieter Althaus (CDU-Ministerpräsident Thüringen) zirkulieren, möchte ich nochmals folgende Klarstellung versuchen: Den neoliberalen Unterstützern eines "BGE" (oder "solidarischen Bürgergelds") geht es nicht im Mindesten (!) um die Verbesserung der Lebenslage der erwerbslosen und armenMitbürgerinnen oder gar um eine "Befreiung von der Lohnsklaverei". In ihren Konzeptionen ist das BGE, das bedingungslos allen zustehen soll, ein Vehikel zur Vollendung der Privatisierung der Sozialversicherungen und der Zerstörung des Sozialstaats. Wieso? Ihre Konzepte sehen im Zusammenhang mit der Einführung eines BGE
a) die Abschaffung der beitragsfinanzierten Sozialversicherung mitsamt den lästigen Diskussionen um den Arbeitgeberbeitrag und die Beendigung (fast) aller bisherigen steuerfinanzierten Sozialleistungen,
b) den Umstieg auf ein weitestgehend von den "kleinen Leuten" finanziertes Grundsicherungssystem und
c) eine radikale Umstellung des Steuersystems zugunsten der Arbeitgeber und Besserverdienenden vor.

Straubhaar und Althaus sehen in ihren BGE-Konzepten ausdrücklich die
vollständige Beendigung des "Lohnnebenkostenproblems". Althaus will dabei die Kranken- und Pflegeversicherung als Pflichtversicherung fortführen, aber vollprivatisiert auf Basis von 200 Euro Kopfpauschale, die aus dem BGE-Betrag von 800 Euro zu entrichten ist. Auch Werner hat wiederholt verdeutlicht, dass zumindest weite Teile der bisherigen Sozialversicherung entfallen sollen. Werner will die vollständige Abschaffung der Einkommens- und Unternehmensbesteuerung per Mehrwertsteuer von 48 %, Straubhaar bietet 25 % MWST plus "Flattax" für alle Einkommen (Ende der progressiven Besteuerung!), und Althaus will die Einkommensteuer für Besserverdienende (die nur das halbe BGE in Anspruch nehmen) auf 25 % senken, während sie für BGE-Vollbezieher auf 50 % steigen soll.
Werner hat offen ausgesprochen, was bei Straubhaar/Althaus eine erwünschte Nebenwirkung ist, über die man besser schweigt: das BGE realisiert einen 'Kombilohn für alle': wegen der garantierten Staatszahlung werden die vom Arbeitgeber zu zahlenden Löhne um den Betrag des BGE abgesenkt. Die VerbraucherInnen (ArbeitnehmerInnen, RentnerInnen etc.) schultern über ihre (Verbrauchs-)Steuern einen Teil der bisherigen Lohnzahlungsverpflichtungen des Kapitals!

Für beinharten "Arbeitszwang" sorgt hier nicht das Recht, sondern die
schiere Not. Dafür ist dann der Arbeitsmarkt komplett "entriegelt". Da soll
dann der freie Markt herrschen. (Angst vor den Gewerkschaften hat da zurzeit keiner mehr.) Wer sich (von "links") nur ein wenig mit den Vorstellungen dieser Herrschaften befasst, kann nicht die Augen davor verschließen, dass es da um eine radikale neoliberale "Generalreform" unseres kompletten Sozial-, Steuer- und auch Lohnsystems zu Lasten all derer geht, die auf einen Sozialstaat angewiesen sind. Da entsteht das Bild eines sozialpolitischen "Minimalstaats" für die Armen, denen ein unzureichender Pauschalbetrag an die Backe geklebt wird - und tschüss! Im Gegenzug wächst die Ungleichheit der Verteilung dramatisch zugunsten der Arbeitgeber und Vermögensbesitzer. Die Herrschaften verbergen diese Absichten hinter sozial nett klingenden Sprüchen ("Die Würde des Menschen muss unter allen Umständen garantiert sein", "Anspruch auf ein soziokulturelles Existenzminimum", "bedingungslos" etc. pp).
Dabei liegt das Leistungsniveau bei Straubhaar/Althaus bereits im Konzept unter Hartz IV, und Werner betont, dass seine forschen 1.500 Euro keine Bedingung für heute und morgen sind - man könne ja auch deutlich niedriger "einsteigen".
Diese Fragen sind übrigens auch Probleme für die "BGE-Linke". Wenn man NICHT die Sozialversicherung und die bisherigen steuerfinanzierten
Sozialleistungen (weitgehend) zugunsten des BGE abschaffen will, wachsen die Probleme enorm, die Finanzierung noch halbwe3gs plausibel darstellen zu können. Auch das Konzept der BAG Grundeinkommen der L.PDS sieht daher eine weitgehende Ablösung bisheriger steuer- und versicherungsfinanzierter Sozialleistungen vor. "Das BGE ersetzt ... die gesetzliche Arbeitslosenversicherung" steht im Konzept;
eine "obligatorische oder freiwillige (!) staatliche umlagefinanzierte Zusatzversicherung" für das Erwerbslosigkeitsrisiko wird noch erwogen. Die Rentenversicherung schrumpft zur "Zusatzversicherung" für Alterseinkommen oberhalb des BGE. Und trotz des derartigen Umstiegs auf ein steuerfinanziertes Sozialsystem soll die Staatsquote zur BGE-Finanzierung auf 71 % des BIP steigen (Schweden erreichte maximal (!) knapp 66 %, so der Konzept-Autor).

Woher dann noch Mittel für überlebensnotwendige und dringlich notwendige andere Reformaufgaben kommen sollen (ökologischer Umbau von Produktion und Infrastrukturen, Instandsetzung des öffentlichen Erziehungs- und Bildungswesens (Hochschulfinanzierung!), deutliche Ausweitung des regulär beschäftigten Pflegepersonals, materieller Ausgleich gegenüber der "Dritten Welt", etc.) braucht die BAG Grundeinkommen ja schon 'mangels Zuständigkeit' nicht zu interessieren!
Auch sämtliche "linken" BGE-Konzepte geraten unvermeidlich (!) - nicht durch "Wollen" sondern durch die Macht des Faktischen, wenn der Staat zum vorrangigen Garanten der Existenzsicherung aller wird - zum "Kombilohn für alle", und richtet die "Mindestlohnforderung" gegen den Staat statt gegen das Kapital. Katja Kipping stellte bei der Vorstellung des Konzept schon mal die Frage in den Raum, ob dann nicht vielleicht auch für 50 Cent Stundenlohn gearbeitet werde.
Und schließlich: viele auf der BGE-Linken sind ja "realistisch" genug, um schon jetzt einzuräumen, dass man ja auch beim Leistungsniveau wohl eher "schrittweise" einsteigen werde. Das erinnert meine ex-grüne Wenigkeit an die Grünen, die vormals für eine "armutsfeste und bürgerrechte bedarfsorientierte Grundsicherung" stritten, dann bei Hartz IV landeten und darin noch "grüne Handschrift" sahen...

Nach meiner gewissenhaften Wahrnehmung ist die BGE-Debatte bei attac bisher ein weit offenes Einfallstor für einen Haufen neoliberalen bzw. antisozialen Müll, weil man sich blenden lässt von vordergründigen Heilsversprechungen. Die BGE-Debatte gefährdet die Qualität von attac (und der Linkspartei
gleichermaßen) als Protagonist der sozialen Gerechtigkeit. Das ist meine ernsthafte Überzeugung.
Ich weiß, dass viele von Euch meine Ansichten in dieser Frage nicht teilen.
Aber das mindeste, was ich von einem Zusammenhang wie attac erwarte - und dann vor allem (!) von den BGE-BefürworterInnen -, ist eine glasklare und beinharte Kante gegenüber den Straubhaars, Althausens, Werners und ähnlichen Herrschaften. Die BGE-attacies stehen in der Verantwortung, unmissverständlich öffentlich deutlich zu machen, das "uns" mit denen nichtsverbindet außer politischer Gegnerschaft. Und da die BGE-Debatte "von rechts" zunehmend an Fahrt gewinnt (Althaus' Positions wurde von Pofalla für die CDU-Grundsatzprogrammdebatte empfohlen, womit die FDP, die hier eigentlich in Deutschland das Copyright hält, überfahren wird), kann ich nur raten: beeilt Euch damit!

Mit einem Schuss verzweifelter Ratlosigkeit angesichts der BGE-Debatte bei
attac und
vielen Grüßen

Daniel Kreutz
.

Verfasst: Mi Nov 24, 2010 4:57 am
von KlBi
Aktuelle Opus 17.02.2010 * die "Quelle" des Butterweggeschen Gesabbers:

Arbeit und Soziales
Vortrag zum Treffen der ver.di-Linken NRW in Düsseldorf - Teil 1
„Bedingungsloses Grundeinkommen“?
Von Daniel Kreutz
(Online-Flyer Nr. 237 vom 17.02.2010)
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=14802



Arbeit und Soziales
Vortrag zum Treffen der ver.di-Linken NRW in Düsseldorf - Teil 2
„Bedingungsloses Grundeinkommen“?
Von Daniel Kreutz
(Online-Flyer Nr. 238 vom 24.02.2010)
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=14825



(Darin findet man z. B. den Scherz, daß Finanzbeamten sehr sehr viel unfreundlicher sind als Fallmanager.)

Der zentrale Punkt dürfte sein, daß diese Art von "linken" in nahezu religiöser Weise an einem "abstrakten" Arbeitgeber festhalten, der in einem "kapitalistischen" System die Menschen so entlohnen muß, daß diese leben können. Die konkreten Arbeitgeber werden gar nicht näher untersucht. Arbeitgeber als religiös-philosophische Figur, wie Engel oder Teufel. Wie schön öfter erwähnt, handelt es sich bei Arbeitgebern im realen Leben um eine Vielzahl von Personen und Organisationen, welche eben Menschen für Geld beschäftigten: von kleinen Selbständigen, die ab und zu einen Kumpel "beschäftigen", über Handwerksbetriebe, "Unternehmen", dann eben auch Bund, Länder, Kommunen, Parteien, Gewerkschaften, Vereine, Genossenschaften usw.

Das Bild des "Arbeitgebers" entspricht dem Fabrikbesitzer von 1848, der Menschen beschäftigte die nichts anderes besaßen als ihre Arbeitskraft und die daher a) für den Fabrikbesitzer arbeiten mußten und b) einen Lohn benötigten, der mindestens zu ihrer und zur Reproduktion der ganzen "Arbeiterklasse" reichte. Dieses kapitalistische System konnte nur "richtig" funktionieren, wenn die "Proletarier" nicht noch nebenbei z.B. Land besaßen.

Auch schon ohne BGE kann man kaum behaupten, daß wir heute in so einer Gesellschaft leben. Das BGE macht allerdings anscheinend schmerzhaft deutlich, daß es mit diesem "Kapitalismus", der in vielen "linken" Köpfen spukt, ziemlich restlos vorbei ist. Umso absurder die Reaktion gegen das BGE. Kreutz, Butterwegge, Roth & co wollen den alten Zustand bewahren oder gar wiederherstellen. Man glaubt es nicht, aber wir haben es mit Reaktionären erster Klasse zu tun. Die Menschen dürfen neben Lohn und Gehalt auf keinen Fall weitere Existenzmittel haben, denn dann wird den "Arbeitgebern" die Pflicht zur Existenzsicherung "ihrer" Beschäftigten genommen, so die religiöse Wahnvorstellung.

Noch absurder wird es, wenn man die ehemaligen sozialistischen Staaten vor Augen hat. Auch in diesen gab es "Arbeitgeber". Die Menschen arbeiteten irgendwo für Lohn und Gehalt. Allerdings sorgte der Staat z.B. durch Subventionierung und teils auch durch Nulltarif, dafür daß die einzelnen "Arbeitgeber" eben nicht mehr vollständig für die Existenz ihrer Leute aufkamen. Waren die Mieten billig, dann entfiel natürlich dieser Anteil im Lohn/Gehalt.