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Revolution oder Wagenknecht

Verfasst: Sa Jul 23, 2016 3:16 pm
von root
Zur Rede von Frau Wagenknecht

Frau Wagenknecht fasziniert mich immer wieder.
Gerade im letzten Satz ihrer mitreisenden Rede bringt sie das Problem
auf den Punkt. Die Rechten stünden für Rassismus und Nationalismus und
die Linken für Sozialstaat.
Eben das ist das Problem der Linken, sie steht wie die Rechten für
Nationalismus, für einen nationalen Sozialstaat. Die Linken wollen
dasselbe wie die Rechten nur eben ohne Rassismus.
Leider, und das begreifen Menschen wie Wagenknecht nicht, lässt sich die
Zukunft nicht in Form einer idealisierten Vergangenheit konstruieren.
Sowas ist weder Utopie noch Realismus sondern reaktionäre Träumerei.
Glaube mir, du kannst die Klassiker Marx Lenin oder Luxemburg rauf und
runter lesen, die helfen eben so viel bei der Beschreibung der Gegenwart
wie ein Blick in die Bibel.
Die Grundsatzfrage wäre ja eigentlich, was zerstört warum den nationalen
Sozialstaat?
Für Frau Wagenknecht und ihre Fangemeinde ist die Sache ganz einfach,
Schuld ist der „Neoliberalismus“, der der Gier der Kapitalisten
verschuldet. Mit so einem Universalbösewicht fährt es sich bequem durch
die vielfältige komplexe Struktur der modernen Weltgemeinschaft.
Leider verbleibt einem bei solcher Betrachtung auch lediglich eine
Lösungsmöglichkeit, nämlich dem Bösen das Handwerk zu legen.
Aber auch wenn wir den Neoliberalismus ans Kreuz nageln würden, ändert
sich erstmal an der sozialen Situation der Menschheit nichts. Darum
scheitert Frau Wagenknecht auch bei der Beschreibung von Lösungen.

Welche zentralen Punkte haben sich geändert.

1.
Nun zunächst mal wäre da die Automatisierung der Produktion zu nennen.
Das Besondere ist nämlich, dass zusätzliche Arbeitskräfte die Produktion
kaum erhöhen. Die Produktion kann ausgeweitet werden ohne dass neue
Arbeitsplätze entstehen. Damit ist die legendäre Abhängigkeit des
materiellen Reichtums von der gesellschaftlichen Arbeit verschwunden.

Das heißt der materielle Reichtum der Menschheit wächst nur noch
unbedeutend mit höheren Einsatz von Arbeitskräften. In manchen Regionen
wie z.B. Deutschland wächst der materielle Reichtum obwohl Arbeitskräfte
abgebaut werden.

In solcher Situation auf den zu niedrigen Mindestlohn zu verweisen, wie
es Frau Wagenknecht macht, ist m.E. zu kurz gedacht. Tatsächlich ist
hier ein neues Modell, eines das die ökonomische Veränderung der
Gesellschaft zu Kenntnis nimmt, notwendig z.B: das bedingungslose
Grundeinkommen.

Diese Forderung scheut Frau Wagenknecht wie der Teufel das Weihwasser,
weil es eben mit ihrem Sozialstaatsmodell, aus der Mitte des letzten
Jahrhunderts stammend, nicht zusammen passt.

Die Gegenwart, in der die Produktion des materiellen Reichtums sich
nahezu ohne menschliche Arbeitskraft vollzieht, erlaubt dem einzelnen
ein Leben ohne äußere Gängelung. Die Befreiung des Menschen von
gesellschaftlichen Zwängen jedweder Art. Diese Zukunft ist Frau
Wagenknecht zuwider. Sie idealisiert die abhängige fremdbestimmte
Beschäftigung als einzigen menschenlebenswerten Zustand.
Die Piraten sind hier eben anderer Auffassung, Wir wollen nicht mehr
Staat sondern mehr Freiheit.

2.
Mit der ökonomischen Revolution - die nebenbei gesagt, die Vorstellung
von einer gegenwärtig kapitalistischen Welt ad absurdum führt, vollzieht
sich eine revolutionäre Veränderung der Weltgemeinschaft, gemeinhin
Globalisierung genannt.

Auch hierzu in der Rede von Frau Wagenknecht kein Wort. Zwar weist sie
richtigerweise darauf hin, dass „unsere“ Überschussproduktion die Märkte
in Afrika aufmischt, aber was soll jetzt die Lösung sein?
Gegen die automatisierte Produktion wie sie sich bei uns etabliert, kann
die, mitunter noch archaische, Wirtschaft auf afrikanischem,
lateinamerikanischem oder asiatischem Kontinent unmöglich konkurrieren.
Die Lösung kann kaum Abschottung sein?

Die Globalisierung bietet ja die Chance Wissen und Fähigkeiten zu teilen
und könnte allen Menschen egal wo sie wohnen den Zugriff auf „unseren“
Reichtum erlauben. Dazu nichts von Frau Wagenknecht. Sie verharrt in
ihrem geliebten Deutschland.

Globalisierung bedeutet, dass die nationalen Rechtssysteme durchlässig
werden.
Steuerflucht ist z.B. erst möglich, wenn die Grenzen entsprechend weit
geöffnet sind. Das Problem zu lösen in dem wir die Grenzen wieder
schließen ist reaktionär, denn das mag zwar Steuerflucht verhindern aber
es schränkt nichts desto trotz die Bewegungsfreiheit auch aller anderen
Menschen mit ein.

Im nationalen Rahmen ist es heute fast unmöglich gegen Steuerflucht vor
zugehen. Darum sind globale Abkommen m.E. unabdingbar.
Frau Wagenknecht ignoriert die positiven Aspekte der Globalisierung,
betrachtet sie als neoliberales Teufelswerk und zieht sich in die
beschauliche Heimat zurück.

Im Gegensatz dazu wollen die Piraten sich am Aufbau einer globalen
Ordnung beteiligen. Hierbei kann es sich ja nur um ein globales
Rechtssystem handeln, das jedem Menschen sein Lebensrecht garantiert und
also die sozialen Unterschiede in den Regionen ausgleichen kann.

3.
Und auch bezüglich der Verteilung des Reichtums weist uns Frau
Wagenknecht den Weg in den Sumpf. Denn mit dem Verweis darauf, dass der
eine Mensch im Schloss und viele andere in ner Bruchbude leben, bedient
sie das beliebtes Vorurteil, demnach es den vielen so schlecht geht weil
es den wenigen gut geht. Für sie stellt der Reichtum eine feste Größe
dar und das ist eben der Irrtum. Dadurch, dass der „Neoliberale“ den
Massen ihr Brot vorenthält, hat er nicht mehr Reichtum. Ein Symptom wird
ihr zur Ursache.

Offene Grenzen bieten die Möglichkeit sich das passende Rechtssystem
auszusuchen. So gibt es Menschen in grenznahen Gegenden, die z.B. im
Land A arbeiten und ihren Wohnsitz in Land B anmelden, weil so Steuern
vermindert werden können. Es gibt Menschen die ihr Auto in Land A
anmelden weil es kostengünstiger ist. Oder Stichwort Tanktourismus.

Offene Grenzen und unterschiedliche Rechtssystem führen zu allerlei
Verwerfungen. Unabhängig von der Verteilung des Reichtums zwischen Reich
und Arm. Und leider profitieren Menschen mit hohen Einkommen in der
Regel eher von den Unterschieden in den Rechtssystemen. Es ist aber
absurd, die Veränderung, also die Auflösung der nationalstaatlich
organisierten Welt, denen anzulasten die vordergründig davon profitieren.

Vielleicht sollte erstmal die Frage geklärt werden warum sich die Welt
überhaupt in Nationen aufgeteilt hat.
Der Kapitalismus, wie er in seinem Mutterland dem British Empire sich
ungezügelt entfaltete, hatte wenig Nationalistisches an sich.

Die Vorstellung der Linken um die letzte Jahrhundertwende herum, die
sich in der Internationalen äußerte, basierte vermutlich auf diesem
globalen Aspekt des Kapitalismus. Ihr Ziel war Weltrevolution!

Historisches Ergebnis des Kampfes zwischen Kapital und Arbeit sind aber
dann die Nationalstaaten. Und das weil, anders als Marx seinerzeit
mutmaßte, das Proletariat durchaus mehr zu verlieren hatte, als seine
Ketten:
Nämlich den Zugriff auf die Ressourcen des von ihm bewohnten
geografischen Raums.
Warum sollte der Deutsche Michel z.B. für den „schmutzigen Griechen“
(Ramsau-er) mitmalochen? Proletarische Interessen sind fest mit dem
Nationalismus verbunden. Die Diktatur des Proletariats, eine
Umschreibung des Sozialismus - der ja bekanntlich Ziel linker Politik –
bedeutet zwangsläufig den Aufbau eines nationalen Sozialstaat.

Frau Wagenknecht möchte also zurück ins letzte Jahrhundert als die
Menschenwelt noch ein Proletariat kannte.

Wie auch immer, neben dem sicher bedeutenden Verteilungsproblem zwischen
Oben und Unten, das bekanntlich in jedem Land existiert, findet sich
auch ein Verteilungsproblem zwischen den Nationen.
Und Ersteres werden wir nicht in den Griff bekommen wenn wir Letzteres
nicht lösen.

Auch hierzu von Frau Wagenknecht nix.

4.
Wirtschaft bedeutet der Linken in der Regel lediglich die
Materialisierung des Antagonismus zwischen Arbeit und Kapital. Der eine,
z.B. die Arbeiterin, macht die Arbeit und die andere sackt die Kohle ein.

Nun ist Wirtschaft aber eben doch etwas mehr. Ihr entspringt nämlich
alles was wir so konsumieren.

Wer also z.B. die Auffassung kultiviert hat, dass Wirtschaft nur denen
da Oben diene, braucht sich nur die Ergebnisse der wirtschaftlichen
Aktivität einer Gesellschaft anzusehen, um zu stutzen.

Ja es werden Schlösser gebaut aber eben auch zahlreiche Wohnungen. Es
werden tonnenweise Lebensmittel produziert, bei uns nicht mal mehr nur
für Menschen, sondern auch für deren beste Freunde, Hund und Katz.
Millionen von Autos, Smartphones und Fernseher.
Neben der Versorgung der Oberen 10.000 mit roten Teppichen, Kaviar und
dergleichen werden auch die Massenbedürfnisse befriedigt.

Wirtschaft ist damit ein Prozess der das Leben der Gesellschaft
überhaupt erst ermöglicht. Und es ist m.E. etwas realitätsfern hier
einen uns feindlichen Popanz aufzublasen, gegen den wir zu kämpfen hätten.

Wenn die Wirtschaft oder einzelne Sektoren aus der Wirtschaft die
offenen Grenzen nutzen um sich z.B. Umweltauflagen zu entziehen oder
Steuerzahlungen zu vermeiden oder vom Lohngefälle zu profitieren oder,
oder, oder, dann sollte wir nicht dem Management der „Wirtschaft“
Vorhaltungen machen, sondern dafür sorgen, das die Unterschiede in der
Rechtslage harmonisiert werden. Das wäre politische Aufgabe einer
progressiven Partei.

Und überhaupt sollten wir uns mit der Wirtschaftsführung befassen. Kann
bei einer solchen gesellschaftlichen Bedeutung die Wirtschaft im
einzelnem hat, Intransparenz und mangelnde Demokratie toleriert werden?
Müssen wir unsere Vorstellung von der Organisation der menschlichen
Gesellschaft nicht langsam revidieren.
Betriebsgeheimnisse, Patentrechte und dergleichen gehören auf den
Müllhaufen.

Gerade weil Wirtschaft die für uns lebenswichtigen Dinge bereitstellt
ist ihre basisdemokratische, öffentliche Kontrolle unabdingbar.
Wirtschaftsziel kann nicht weiter Profitmaximierung sein, was angesichts
der Tatsache, dass die materielle Produktion an der Gesamtwirtschaft
lediglich noch marginalen Anteil hat, ohne dies absurd, sondern ihre
Einbettung ins gesellschaftliche Ganze. Wirtschaft vom Konkurrenzdruck
befreien und der gesellschaftlichen Vernunft unterordnen, sie nicht als
Feind halluzinieren sondern sie als unabdingbar notwendigen Teil unseres
Lebens zu begreifen.

5.
Die Linke sei keine etablierte Partei, so Frau Wagenknecht, für die
Politikverdrossenheit seien andere zuständig. Das haut zwar nicht so
ganz hin, denn in manchen Bundesländern war und/oder ist die Linke ja
auch in Regierungsverantwortung. Aber egal.

Was ist eigentlich eine Partei? Wo kommt sie her wo geht sie hin?
Die Bezeichnung lässt auf etwas schließen das Partei ergreift. Das
wieder macht nur Sinn wenn es unterschiedliche Parteien gibt.
Wenn wir also mal annehmen es existiere sowas wie historische
Entwicklung, könnte man akzeptieren dass es mal eine Klassengesellschaft
gegeben hat.

Klassen haben spezifische, allen Klassenmitgliedern gemeinsame
Ansprüche. Diese gemeinsamen Ansprüche können formuliert und von
Vertreterinnen der Klasse gegen andere Interessen vertreten werden.
So gesehen wären Parteien Produkte einer Klassengesellschaft.

Politisch kann sich ein Mensch in einer Partei nur wiederfinden, wenn er
selber einer Klasse zuzuordnen ist und wenn es eine Partei gibt die
diese spezifischen Klasseninteressen vertritt.
Eine Volkspartei wäre demnach Humbug, denn die Volkspartei müsste die
Interessen aller Bürger gegen die Ansprüche von welcher anderen Partei
vertreten?
Mehrere Volksparteien im Parlament würden die Absurdität dieses
politischen Systems nur noch erhöhen.

Hier hätten wir ein anderes Indiz, das Politikverdrossenheit erklären
könnte. Eine Volkspartei die ihrem Anspruch gerecht würde, braucht ja
nicht gewählt zu werden, denn sie vertritt die Interessen aller
Bürgerinnen. Politik wird so „alternativlos“.

Der Versuch von Frau Wagenknecht die Linke als eine nicht etablierte
Partei - soll heißen als eine revolutionäre Protestpartei - zu
beschreiben, ignoriert die Veränderungen die sich in der
Weltgemeinschaft in den letzten Jahrzehnten vollzogen haben.

Zwar existieren Arm und Reich wie eh und je, also das scheinbare
Wählerpotential der Linken wäre durchaus noch vorhanden. Nur, der
politische Ausgleich zwischen Arm und Reich, also die Macht, die das
natürliche Auseinanderdriften beider Pole nivellieren könnte, liegt
heute nicht mehr im nationalen Parlament. Ganz abgesehen davon, dass
Armut alleine keine Klasseneigenschaft im Sinne der Klassengesellschaft
definiert. Weshalb der Versuch ein proletarisches Klasseninteresse auf
die untere soziale Schicht unserer modernen Gesellschaft zu übertragen,
logischerweise nicht zu höherer Akzeptanz der Wählerinnenschaft führen kann.

Das politische Thema unserer Zeit ist weniger der Klassenantagonismus,
dem die Linke ihre Existenz verdankt, als vielmehr der Antagonismus
zwischen Globalisierung und Nationalismus. Globalisierung bedeutet dass
das, was in den deutschen Kinderfibeln märchengleich gelehrt wird,
nämlich dass alle Menschen gleich seien, in der realen Welt
Verwirklichung findet.

Die einzige Alternative zur Volkspartei, die ja ihren Nationalismus
freimütig im Namen trägt, wäre darum eine „Partei des Individuums“.
Eine „Partei des Individuums“ verträgt sich nicht mit dem
Delegationsprinzip, das der Parlamentarischen Demokratie eigen. Denn
warum sollte ein (aufgeklärtes) Individuum seine Interessen nicht selber
vertreten?

Politikverdrossenheit hat also ihre Ursache einerseits darin, dass die
Klassen, die die Grundlage der Bürgerlichen Demokratie bildeten, heute
nicht mehr existent sind und andererseits darin, dass das
Delegationsprinzip für ein Individuum mit seinen individuellen
Vorstellungen keinen Reiz entfalten kann.