Nie wieder war gestern, konkret 5/25
Verfasst: Fr Apr 25, 2025 7:24 am
von root
Sieh Konkret 5/2025 Rolf Surmann „Nie wieder“
In seinem Beitrag ‚
„Nie wieder“ war gestern‘ springt der Autor Rolf Surmann hakenschlagend durch Raum und Zeit wie ein Hase auf der Flucht. Anders als der Hase, den die Angst vor den Reißzähnen des Wolfes Flügel verleiht, scheint Surmann von der Furcht vor Erkenntnis getrieben.
„Nach einer Zwischenphase, die mit dem Ende des Ersten Weltkriegs begann und wohl mit dem Ukraine-Krieg endet und die vom aufsteigenden und im Vergleich zu den faschistoiden Verhältnissen in Europa »modernen« Kapitalismus der USA auf der einen, von der alte Herrschaftsstrukturen beseitigenden Sowjetunion auf der anderen Seite geprägt war,(…)“
Die zwischen 1914 1933 und 2025 liegen Jahrzehnte, vertat die Menschheit nicht im Dornröschenschlaf, wie Surmann den Eindruck erweckt, sondern sie sind durch rasante Entwicklungen, das Fundament der globalen Wirtschaft betreffend gekennzeichnet.
„… sind wir mit einem uneingeschränkt siegreichen Kapitalismus konfrontiert. Gegenwärtig zerfällt er in zwei Blöcke. Auf der einen Seite steht der schrankenlose Kapitalismus eines Donald Trump, auf der anderen der herrschaftsvermittelnde Europas.“
Der Kapitalismus, ist unsterblich wie der die Seelen raubende Beelzebub. Und er hat so viele Gesichter, allein in diesem Absatz
1. Der aufsteigende moderne Kapitalismus (USA)
2. Der faschistoide Kapitalismus
3. Der alten Herrschaftsstrukturen beseitigende Kapitalismus
4. Uneingeschränkt siegreichen Kapitalismus
4.1. schrankenloser Kapitalismus im Privatbesitz von Trump
4.2. ein herrschaftsvermittelnder Kapitalismus
Den aktuellen chinesischen, indischen, türkischen, sudanesischen usw. Kapitalismus lassen wir mal außen vor. Denn würden wir die alle noch einführen, dann wäre der einschläfernde Text geeignet eine dicke buddhistische Gebetsrolle zu füllen.
Der Marxismus kennt eigentlich nur einen Kapitalismus, in dessen Zentrum die Warenproduktion steht.
„
Die Ware“, so Marx am Beginn seiner Analyse der kapitalistischen Produktionsweise, „
ist zunächst ein Ding, das durch seine Eigenschaften menschliche Bedürfnisse irgendeiner Art befriedigt.“
Gibt es einen Unterschied zwischen Dienstleistung und Ware? Eine Dienstleistung ist nun augenscheinlich kein Ding und kann daher keine Ware sein.
Nun ist die Dienstleistung immer auch ein Element in der warenproduzierenden Gesellschaft, aber eben nur ein untergeordnetes, das gemäß Marx der Ware keinen Wert zufügt.
Wenn z. B einen Sack Reis einmal um die Erde transportiert wird, ändert sich an seinem Wert nichts.
Allein hier sollte ein „Marxist“ schon aufmerken, denn eine Dienstleistungsgesellschaft, die ja dadurch gekennzeichnet ist, dass hauptsächlich Dienstleistungen erbracht werden, kann eigentlich keine kapitalistische Gesellschaft sein.
Dieses Dilemma umgeht Herr Surmann in dem er einfach immer neue Kapitalismen erfindet.
In seinem ganzen Text beschäftig ihn aber nirgends der Kapitalismus als ökonomische Kategorie noch der Antagonismus zwischen Kapital und Arbeit.
Im Wesentlichen beschäftigt sich der Text mit Institutionen, also Deutschland, USA, Russland, Sowjetunion, Europa usw.
Offensichtlich scheint das Problem also nicht die Wirtschaft, sondern die Verwaltung,
denn Institutionen dienen der Verwaltung des menschlichen Lebens. Präziser gefasst, das Problem scheint vom Nationalstaat im Zeitalter der Globalisierung auszugehen.
Und in der Beziehung versagt Surmann kläglich.
Zunächst mal nutzt er die Begriffe nach individueller Beliebigkeit.
Während einerseits die Staaten Europas sich schwer bekämpften
„
Der Erste Weltkrieg wurde von den Staaten Europas als Kampf um die Weltbeherrschung geführt
“
ist Europa andererseits seit Jahrhunderten ein Hort von Harmonie und Gleichklang.
„
Europa hingegen hält am jahrhundertealten Bild eines starken Europas (mit Einschluss eines domestizierten Russlands) fest und setzt auf entsprechende militärische Optionen.
“
Fakt ist, Europa ist keine nationalstaatliche Institution, sondern ein langsam zerfallender Rohbau. Wir erleben aktuell wie die europäischen Nationalstaaten versuchen sich neu zu erfinden und ihre Souveränität zurückzugewinnen.
Es stellt sich nämlich rein praktisch die Frage, wie eine
Re: Nie wieder war gestern, konkret 5/25
Verfasst: So Jul 13, 2025 7:03 am
von root
Rolf Surmanns zentrale Frage lautet:
'Welche Konsequenzen hat dieses Land aus seiner Geschichte gezogen?'
Und sie enthält bereits alles um den Autor auf Abwege zu führen.
In welchem Verhältnis steht dieses Land zu den Menschen die darin wohnen?
Wer ist dieses Land?
Kann es andere Konsequenzen ziehen als seine Bürger?
Jedenfalls sind seit dem Ende des 2. Weltkrieges 80 Jahre seit dem Ende des 1. Weltkrieges 117 Jahre vergangen.
Dieses Land hat die in ihm lebenden Menschen schon 1 mal komplett ausgewechselt.
Herr Surmann beschäftigt sich genau genommen nicht mit den realexistierenden Menschen sondern mit einer Institution, der Institution 'Deutschland'.
Diese ist seit ewig existent und unsterblich.
Das bietet Wissenschaftlern wie surmann die Chance nichts zu verstehen denn solche Erscheinungen sind keiner Entwicklung unterworfen es sind
Untersuchungsgegenstände die sich nicht verändern.
Während sich innerhalb dessen was Deutschland bezeichnet mittlerweile rund 3 Generationen den Staffelstab weitergereicht haben, und die äußere geographische Ausdehnung diverse Anpassungen erfuhr, bleibt Deutschland für den Theoretiker unverändert.
Würde man von 1945 aus gehen im selben Abstand zurück in die deutsche Geschichte blicken
Landet man in der Zeit zwischen 1844 und 1870.
Da gab es Deutschland eigentlich noch gar nicht.
Wenn es eine Zeit ohne Deutschland gab, wie wird es in 100 Jahren also 2125 um Deutschland bestellt sein? Gibt es Deutschland dann vielleicht nicht mehr?
Nun ja solche kindischen Fragen interessieren nicht.
Re: Nie wieder war gestern, konkret 5/25
Verfasst: Mo Jul 21, 2025 8:43 pm
von root
Konkret 5/2025 Rolf Surmann „Nie wieder“ war gestern
Was bedeutet heute der 8. Mai 1945 als Endpunkt des zweiten von Deutschland begonnenen und verlorenen Weltkriegs? Vor allem: Welche Konsequenzen hat dieses Land aus seiner Geschichte gezogen? Um diese Fragen beantworten zu können, ist ein Blick auf die aktuelle Neuausrichtung der Weltpolitik und Deutschlands Rolle darin erforderlich.
Spätestens mit Donald Trumps Idee, Gaza zur Riviera des Nahen Ostens zu machen, war klar, dass Kriegspolitik heute anders betrieben wird als vor hundert oder achtzig Jahren. Das schließt die üblichen mit ihr verbundenen Friedensverheißungen ein. Im Ukraine-Krieg geht es vergleichsweise traditionell zu. Allerdings mussten die europäischen Protagonisten neben der faktischen Diskreditierung ihres kriegerischen Credos - weil Gespräche und Verhandlungen mit Putin nicht möglich seien, habe man bis zum endgültigen Sieg zu kämpfen -durch die Rede des US-Vizepräsidenten J. D. Vance auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar dieses Jahres eine weitere Erschütterung ihres Selbst- und Weltverständnisses hinnehmen.
Man erwartete Ausführungen über die militärischen Optionen und Perspektiven der Nato resp. Europas, und Vance sprach über Meinungsfreiheit und Missachtung von demokratischen Werten. Das Vorgehen staatlicher Stellen in Deutschland gegen »Hassverbrechen« bezeichnete er dabei als »orwellsch« (»Jemanden zu beleidigen, ist kein Verbrechen«) und ließ selbst die Annullierung der Wahl in Rumänien nicht unerwähnt. Damit hatte Vance keineswegs das »Thema verfehlt«, sondern ganz dezidiert eine andere Seite aufgezogen. Dem alten Europa, nach eigenem Selbstverständnis Hort von Freiheit und Menschenrechten, klebte er als Vertreter einer politischen Ideologie, die angesichts großer analytischer Beliebigkeit hierzulande gerne in die Nähe des Faschismus gerückt wird, nun selbst zwar nicht das Etikett »Faschismus« an, doch stellte er die Legitimität des demokratischen Mandats in Frage. Eine Regierung müsse den politischen Willen der Wähler respektieren - wobei an dieser Stelle dahingestellt sei, inwieweit es die Trump-Leute selber tun. Damit demonstrierte er, wie konträr das hiesige Demokratieverständnis nach seiner Auffassung zum Freiheitsverständnis der USA steht, um dann zumindest indirekt, aber deutlich anders als erwartet, auf die Vorstellungen des Publikums einzugehen. Die Stärke des Bündnisses hänge von der gesellschaftlichen Verfassung der Bündnispartner ab, lautete sein Fazit, das zugleich ein Hinweis auf einen möglichen Bruch war.
Für die Vertreter einer politischen Kultur, die sich über Jahrzehnte mit »Demokratie« als westlichem Unikat vom Rest der Welt abzuheben versucht hatten, war das ein Schock. Dieses Statement ging deutlich über die bisher übliche Drohung hinaus, falls Europa nicht bereit sei, die Verteidigungslasten des Nato-Bündnisses angemessen mitzutragen, wären die USA nicht mehr zu dessen Verteidigung bereit. Es war nicht zuletzt mehr als die sattsam bekannte Personifizierung des Problems, wie mit dem angeblichen Trump-Buddy und von manchen als Hitler Wiedergänger dargestellten Putin umzugehen sei. Vance stellte mit seiner Rede demonstrativ die Einheit des Westens, wie sie seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs entwickelt und propagiert worden war, zur Disposition.
Damit zeigte sich, dass die Einschätzung zu kurz greift, es gehe heute in erster Linie um die Haltung zum Ukraine-Krieg und um die Möglichkeit seiner Beendigung, also lediglich um einen innereuropäischen Konflikt in der Nachfolge unzähliger anderer. Ist schon dieser Krieg ein Stellvertreterkrieg, hinter dem ganz andere Interessen stehen als die Unterstützung eines osteuropäischen Nationalstaats gegen ein imperiales Russland, so zeigt spätestens Vances Auftritt, dass die Axiome westlicher Weltpolitik zur Disposition stehen.
Hier zeichnet sich ein anderer Politikwechsel ab als der am Ende des Zweiten Weltkriegs mit der Auflösung der Allianz gegen das nazistische Deutschland und dem Beginn des Kalten Kriegs vollzogene. Der mag nicht weniger wichtig gewesen sein für die weitere weltpolitische Entwicklung, doch trug er andere Züge. Auch wenn Harry S. Truman Theodore Roosevelt ablöste, innenpolitisch zum Beispiel die politischen Verfolgungen der McCarthy-Ära einsetzten, Rassismus weiterhin selbstverständlich den Alltag bestimmte und in kriegstechnischer Hinsicht die Atombombe entwickelt wurde, so garantierte unter anderem die kapitalistische Entwicklungsstufe des »Fordismus« für große Teile der Bevölkerung immerhin ein auskömmliches Leben und innenpolitische Stabilität. Der »American Way of Life« entwickelte sich zum attraktiven Symbol für westliches Leben. Wichtiger noch: Die nach dem Ersten Weltkrieg begonnene Politik der Kriegseingrenzung wurde mit der Gründung der Uno und ihrem internationalen Regelwerk trotz weltweiter spätkolonialer und imperialer Kriege nicht grundsätzlich aufgegeben, sondern in mancherlei Hinsicht weiterentwickelt. Wenn es auch falsch wäre, hierin einen allgemeinen Fortschritt zu sehen, so war das Ende der Anti-Hitler-Koalition auch keine Wende zu uneingeschränkter Reaktion.
Hatten die USA erst im Verlauf des Ersten Weltkriegs ihre »splendid isolation« aufgegeben und waren zu einem wichtigen Akteur der internationalen Politik geworden, so wurden sie im weiteren Verlauf zum Zentrum der westlichen Welt. Nach ihrem Vorbild formten sie nach 1945 die abgewirtschafteten Kolonialmächte Europas und ein Westdeutschland, das nach dem zweiten begonnenen und verlorenen Weltkrieg unter Kuratel der westlichen Alliierten stand, zum Gegenmodell gegenüber dem »Ostblock«. Damit begann der Aufstieg Westeuropas, der heute offensichtlich in Frage steht.
Tölpel, Faschist oder was?
Es geht also heute nicht einfach um die eine oder andere politische Grundsatzentscheidung, auch nicht allein um die Frage nach Krieg oder Frieden, sondern um ein völlig neues Politikverständnis. Das betrifft die Außenpolitik, die mittlerweile das große Thema ist, aber auch die bisher nur ansatzweise zur Kenntnis genommene innere Verfasstheit der USA und letztlich auch der westlichen Staaten, wie Vances Rede zeigt.
Damit hat sich Donald Trumps Erscheinungsbild zu Beginn seiner zweiten Amtszeit prinzipiell geändert. Galt er zunächst als ungelenker oder radikaler Tölpel, den die traditionellen staatlichen Institutionen »einzufangen« und zu lenken hätten, was, wie seine Haltung zum Sturm auf das Kapitol zeigt, allenfalls bedingt gelang, so hat er mittlerweile selbst damit begonnen, die ihm nicht genehmen staatlichen Institutionen umzustrukturieren oder ganz aufzulösen. Dass dies keineswegs eine fixe Idee ist, demonstrierte er anlässlich seiner Amtseinführung. Umgeben von den Reichen des Landes, verkörperten speziell die High-Tech-Oligarchen die Botschaft an die Welt, Trump sei kein abgewrackter Cowboy-Darsteller wie Ronald Reagan und auch kein Politiker der zweiten Reihe mit Panzerknackerneigungen wie Richard Nixon, sondern ein Präsident, dessen Unterstützer als Symbolfiguren für das »MAGA« -Projekt weltweit im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit stehen und den Willen der USA verkörpern, als hochmoderne kapitalistische Supermacht die Welt abermals neu zu ordnen.
Seitdem wird weniger über Trumps psyichische Konstitution schwadroniert, sondern über die Frage nachgedacht, welche Konsequenzen sich daraus für Europa ergeben. Die Antworten sind so zahlreich wie hilflos. In mancherlei Hinsicht erinnert die Situation an die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, als Anfang der zwanziger Jahre nach dem Machtantritt Benito Mussolinis eine ähnliche Verwirrung herrschte. Die einen stritten ab, dass sich eine neue Herrschaftsform herausbildete, die anderen sahen eben das heraufziehen, was im weiteren Verlauf nach dem italienischen Vorbild als Faschismus bezeichnet wurde. Doch bekanntlich war der Streit damit nicht beendet. Denn weder konnte man sich darüber einigen, was den Faschismus ausmacht, noch welche Konsequenzen hieraus zu seiner Bekämpfung zu ziehen seien. Über die letzten hundert Jahre kann diese beinahe uferlose Kontroverse im Detail nachvollzogen werden. Allerdings gab es auch Abweichungen. Als die westdeutsche Zeitgeschichtsforschung sich in den siebziger Jahren mit der Frage des Faschismus beschäftigte, fasste der tonangebende Historiker Ernst Nolte sein Forschungsresümee unter dem Titel Der Faschismus in seiner Epoche zusammen. Damit machte er deutlich, dass er im Interesse einer Abgrenzung Westdeutschlands von seiner Vorgeschichte die »Epoche« des Faschismus mit der Niederschlagung der Nazi-Herrschaft für beendet hielt, Faschismus folglich als eine gestrige politische Herrschaftsform begriff.
Heute wird das bekanntlich durchweg anders gesehen. Faschismus ist ein ausgesprochener Modebegriff geworden, wobei er aber kaum theoretisch weiterentwickelt wurde, sondern oft lediglich als Ausdruck der moralischen Verurteilung bestimmter politischer Verhältnisse dient. Ähnliches deutet sich jetzt auch hinsichtlich der Entwicklung in den USA an. Dabei wäre vorab die Frage zu stellen, was sich denn an den Verhältnissen in den USA grundsätzlich geändert hat.
Die größte Veränderung wird schon an der politischen Leitparole erkennbar. Make America Great Again weist auf den Verlust der weltbeherrschenden Stellung der USA, das Ende des »American Century« oder grundsätzlich: das Ende der unipolaren Weltordnung. Ursachen hierfür gibt es etliche. Sie zeigen sich in der wirtschaftlichen Krise, die auf der Erscheinungsebene von der durch Handelsdefizite bedingten Verschuldung bis zur Gefährdung des Dollarsystems reichen.
In weltpolitischer Hinsicht reihte die 1989 einsetzende zweite Etappe der 1945 ausgerufenen Pax Americana - angefangen beim Scheitern der »Menschenrechtskriege« bis zum Ukraine-Krieg - eine Serie von Niederlagen aneinander, die nicht nur sehr viel Geld kosteten, sondern auch den weltpolitischen Anspruch der USA in Frage stellten. Mit der fortschreitenden Konstituierung der im wesentlichen bisher kolonialunterdrückten Gesellschaften zum Globalen Süden entwickelt sich nicht nur ein völlig neuer wirtschaftlicher Konkurrent, sondern auch ein politischer Gegner, der dem Westen und damit implizit den USA nicht nur ihre Jahrhunderte währende Geschichte von Ausbeutung und Unterdrückung präsentiert, sondern bereits heute dessen globale Machteinschränkt. Vor diesem Hintergrund ist die Abkehr von der Strategie der Globalisierung zu ihrer Neufassung unter nationalen Vorzeichen nichtüberraschend.
Diese Entwicklung bündelt sich im bisherigen Verlauf des Ukraine-Kriegs, in der nach heutigem Stand dreifachen Niederlage des Westens. Weder gelang es, durch wirtschaftliche Sanktionen Russland innenpolitisch zu destabilisieren und so die Bedingungen für eine Zeit nach Putin zu schaffen, noch konnte Russland trotz erheblicher Anstrengungen international isoliert werden. Schließlich eröffnet der bisherige Verlauf des Krieges keine ernsthafte Hoffnung auf einen militärischen Sieg, eher ist bei längerer Kriegsdauer die Perspektive eines Zerfalls der Ukraine absehbar - nicht zuletzt auf Grund des Umstands, dass ihr von ihren Verbündeten und in erster Linie von den USA die Voraussetzungen für einen souveränen Nationalstaat genommen werden.
Was zur Zeit in brutaler Offenheit etwa am Abschluss der Verträge über die weitere Finanzierung des Krieges durch die USA und die Verfügung über die ukrainischen Rohstoffe beobachtet werden kann, ist Ausdruck einer für das Regime Trump typischen Vorgehensweise. Im Zentrum steht dabei die Abkehr von zwischenstaatlicher Kooperation auf der Grundlage von Gleichberechtigung, die Aufgabe von völkerrechtlichen Prinzipien, den in diesem Geist geschlossenen Verträgen und der Austritt aus den entsprechenden Organisationen. Beispielhaft angeführt seien so signifikante Entscheidungen wie die Aufkündigung von Rüstungsbegrenzungsabkommen, der Austritt aus dem Klimaschutzvertragswerk oder das Verlassen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und des UN-Menschenrechtsrats. Innenpolitisch entspricht dem die Streichung von Förderprogrammen für Gleichberechtigung, Inklusion und andere gesellschaftliche Ungerechtigkeiten ausgleichende Maßnahmen. An ihre Stelle tritt die Ideologie von einer »natürlichen« gesellschaftlichen Ordnung.
An diesen Entscheidungen zeigt sich auch, dass das innenpolitische Konzept des institutionalisierten Klassenkompromisses obsolet geworden ist. Der Politologe Johannes Agnoli hat unter dem Stichwort Korporatismus die Anfänge dieser Herrschaftsstrategie untersucht. Sie gründet auf dem Versuch der Aufhebung des Widerspruchs zwischen Kapital und Arbeit durch die strukturelle Einbeziehung der Arbeiterorganisationen wie auch der Kapitalverbände in den staatlichen Entscheidungsprozess. Erste Schritte in diese Richtung finden sich in Deutschland während der Nazi-Zeit, modifiziert fortgesetzt wurden sie in der Bundesrepublik unter dem Stichwort »Mitbestimmung« und dem Programm der »sozialen Marktwirtschaft«, die -wie der Wirtschaftswissenschaftler Alfred Müller-Armack als Erfinder des Begriffs hervorhob - nicht nur ein wirtschaftstechnisches System, sondern Grundlage eines »sozialen Lebensstils« sein sollte. Das war eben keine Marktwirtschaft um jeden Preis, sondern eine Wirtschaftsordnung, die ihre Auswirkungen abzufedern und die Bevölkerung entsprechend zu integrieren versuchte. Der Versuch der politischen Zuspitzung als »formierte Gesellschaft« wurde Mitte der sechziger Jahre unter der Kanzlerschaft Ludwig Erhards, der landläufig als »Vater der sozialen Marktwirtschaft« gilt, unternommen.
Dieser Ansatz vermittelter Herrschaft, wie sie den »modernen« Kapitalismus prägt, wird gegenwärtig in den USA durch ein Herrschaftsverständnis ersetzt, das radikaler denn je durch die Verwertungsinteressen des US-Kapitals bestimmt ist und dessen Ziele ohne auf Akzeptanz setzende oder durch Gegenmächte bedingte Einschränkungen durchsetzt. Ein bisher kaum beachtetes Beispiel dieser Vorgehensweise ist das Projekt der »Free Cities«, das in Anlehnung an die verbreiteten Sonderwirtschaftszonen die Möglichkeit von Forschung und Produktion schaffen soll, bei denen herrschende Gesetze und Kontrollmechanismen außer Kraft gesetzt werden. Georg Seeßlen hat diese Strategie unter Rückgriff auf den Psychoanalytiker Jacques Lacan mit dem Begriff »Jouissance« gekennzeichnet: als »Machtgenuss« mit dem Verlangen nach uneingeschränkter Ausdehnung, der zur »Explosion einer maskierten Energie« führe. Das Kapital sei damit im Stadium der Jouissance zu einem unkultivierten, unkontrollierten und unbegrenzten Selbstgenuss übergegangen (siehe konkret 4/25).
Sieht man von ihrer psychologisierenden Komponente ab, macht diese Argumentation durchaus nachvollziehbar, was sich in den USA gerade abspielt. Allerdings erklärt sie nur ansatzweise, was zur Explosion dieser »maskierten Energie«, der uneingeschränkten Machtentfaltung des Kapitals also, geführt hat. Werfen wir einen Blick auf die letzten Jahrzehnte, so fällt eine Erklärung allerdings nicht schwer. Die Wiederherstellung der uneingeschränkten Macht ökonomischer Eliten -verbunden mit dem Niedergang der Arbeiterbewegung - und die damit einhergehende Erklärung des Privateigentums zum Kern der Gesellschaft, wie sie seit Reagan und Thatcher vorherrschend geworden sind und im Begriff des Neoliberalismus zusammengefasst werden können, liefert die Vorgeschichte. Auch sei auf das Scheitern einer strukturellen Reformpolitik mit dem Ziel der Eingrenzung der Kapitalmacht verwiesen, wie sie zum Beispiel von der Sozialdemokratie gerade auch als Antwort auf Faschismus und Nazismus mit der Einführung einer »paritätischen Mitbestimmung« betrieben wurde. Das Kapital braucht deshalb heute für die Durchsetzung seiner Interessen keine »faschistischen« Helfershelfer. Es übt, wie am Beispiel USA zu sehen ist, seine Macht direkt aus. Diese Verhältnisse sind deshalb eher als unbeschränkter Kapitalismus denn als Faschismus zu verstehen.
Das Versagen Europas
Der Erste Weltkrieg wurde von den Staaten Europas als Kampf um die Weltbeherrschung geführt und endete mit einer Niederlage des Kriegsverursachers Deutschland und dem sukzessiven Zerfall der Kolonialreiche Frankreichs, Großbritanniens und nachgeordneter Kolonialmächte auf der einen und mit dem Aufstieg der Sowjetunion und der USA auf der anderen Seite. Nach dem Zweiten Weltkrieg blieben BRD und DDR lange Zeit aus internationalen Institutionen wie der Uno ausgeschlossen, Frankreich und Großbritannien verloren in den Folgejahren ihre Kolonialreiche fast vollständig, und die USA und die Sowjetunion standen sich im geteilten Deutschland als verfeindete Weltmächte direkt gegenüber.
Mit dem Sieg der USA im Kalten Krieg stellte sich die Frage nach der machtpolitischen Strukturierung Europas erneut. Trotz intensiver Kooperationsversuche unter Gorbatschow, Jelzin und anfänglich auch Putin war der Westen allenfalls zu einer Zusammenarbeit nach seinen Vorgaben bereit. De facto versuchte er, Osteuropa unter Berufung auf die Prinzipien der Demokratie nach seinen Interessen umzugestalten. Diese Haltung wurde auch im Vorfeld des Ukraine-Kriegs nicht aufgegeben. Man entschloss sich stattdessen, dem russischen Angriff auf die Ukraine unter Aufgabe jeder Form von Diplomatie mit uneingeschränkter Kriegspolitik -»Krieg bis zum Sieg« -, dabei selbst die Gefahren eines Atomkriegs ignorierend, zu begegnen. Damit gab man prinzipiell die zentrale Verpflichtung aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg auf, sich für die Wahrung des Friedens einzusetzen.
Da die 2022 regierenden US-Demokraten diese Vorgehensweise ebenfalls für richtig hielten, entwickelte man gegenüber dem Ukraine-Krieg eine Haltung, wie sie schon in den vorhergehenden »Menschenrechtskriegen« eingenommen worden war: Der Krieg wurde mit hohem moralischen Aufwand als notwendig und gerecht dargestellt.
Diese Legitimierung des Krieges stellte Donald Trump mit seiner Behauptung, zu diesem Krieg habe es gar nicht kommen müssen und er sei auch ohne militärische Entscheidungen zu beenden, grundsätzlich in Frage. Den proof of the pudding erleben wir gerade. Doch hätte allein schon dieser kriegspolitische Richtungswechsel die Regierenden in Europa veranlassen müssen, über ihre bisherige Strategie nachzudenken. Auch die sie umgebende Zivilgesellschaft fühlte sich nicht dazu berufen, wobei man durchaus an Ludwig Erhards »formierte Gesellschaft« denken kann. Stattdessen gab es als Reaktion auf Trumps Ankündigung, für ein Ende des Krieges sorgen zu wollen, in Deutschland einen beispiellosen Aufrüstungsbeschluss, der zu einer systematischen Militarisierung dieser Gesellschaft führt. Hinzu kommen ein zunehmender Autoritarismus staatlichen Verhaltens und auch auf völkerrechtlicher Ebene Revisionsversuche, wie sie eben in Zeiten der Kriegsvorbereitung üblich sind. Hierzu gehören die gerade eingeleitete dauerhafte Stationierung von Bundeswehrtruppen in Litauen direkt an der Grenze zu Russland, aber auch Überlegungen der »FAZ«, ob es angesichts der kriegerischen Umstände nicht nötig sei, die Deutschland im Zwei-plus-Vier-Vertrag, dem Abschlussvertrag zum Zweiten Weltkrieg, auferlegten militärischen Beschränkungen aufzuheben und damit diesen völkerrechtlich verbindlichen Vertrag zu brechen. Auch die schon vor Jahrzehnten angestrebte Verfügung über Atomwaffen scheint jetzt endlich durchsetzbar zu sein. Im Kontext dieser welt- und europapolitischen Lage versucht Deutschland endgültig auf- und einzuholen, was ihm mit dem Zweiten Weltkrieg verlorengegangen ist.
Nach einer Zwischenphase, die mit dem Ende des Ersten Weltkriegs begann und wohl mit dem Ukraine-Krieg endet und die vom aufsteigenden und im Vergleich zu den faschistoiden Verhältnissen in Europa »modernen« Kapitalismus der USA auf der einen, von der alte Herrschaftsstrukturen beseitigenden Sowjetunion auf der anderen Seite geprägt war, sind wir mit einem uneingeschränkt siegreichen Kapitalismus konfrontiert. Gegenwärtig zerfällt er in zwei Blöcke. Auf der einen Seite steht der schrankenlose Kapitalismus eines Donald Trump, auf der anderen der herrschaftsvermittelnde Europas. Doch trennen die beiden Lager nicht nur innenpolitische Unterschiede, sondern auch eine divergierende Beurteilung der weltpolitischen Lage. Trump sieht die Gefährdung des US-Imperiums vor allem im Aufstieg der VR China und des Globalen Südens und will sich zur Vorbereitung eines entsprechenden Entscheidungskampfs vom europäischen Kriegsballast befreien. Seine Bemühungen zur Beendigung des Ukraine-Kriegs sind deshalb auch keineswegs Ergebnis einer Friedenspolitik, sondern Ausdruck einer strategischen Umorientierung. Europa hingegen hält am jahrhundertealten Bild eines starken Europas (mit Einschluss eines domestizierten Russlands) fest und setzt auf entsprechende militärische Optionen.
Was die Linke betrifft, so befindet sie sich weder in einer Lage, die mit der revolutionären Situation nach dem Ersten Weltkrieg vergleichbar wäre, noch wirkt das Vermächtnis der antifaschistischen Widerstandskämpfer/innen am 8. Mai 1945 »Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg!« heute nennenswert nach. Selbst Wolfgang Borcherts humanistischer Appell »Sag nein!« erscheint vielen schon als Ausdruck einer Subversion der herrschenden Ordnung. Sieht man sich unter diesem Gesichtspunkt das Abstimmungsverhalten der linken und linksliberalen Parteien im Bundestag in Sachen Kriegskredite an, so zeigt sich, dass die in den letzten Jahrzehnten erreichten partiellen Fortschritte kaum noch zählen. Wir haben stattdessen wieder eine Karl-Liebknecht-Situation. Sie zu überwinden ist schwieriger denn je. Ein erster elementarer Schritt könnte jedoch sein, die politische Eigenständigkeit gegenüber den Apologeten des Kriegs zu behaupten. Das scheint durchaus möglich, weil auch die lange Geschichte der Friedenspolitik und der im Zuge ihrer Entwicklung entstandenen völkerrechtlichen Ordnung ein Teil dieser Gesellschaft ist, mag sie zur Zeit auch unter den Tisch gekehrt oder verächtlich gemacht werden.
Rolf Surmann schrieb in Konkret 4/25 über den „Schlussstrich« unter die „vergessenen Opfer« des Nationalsozialismus.